Freitag, 6. Juni 2008, 18:00 bis Samstag, 7. Juni 2008, 18:00

Traditionen des Linkssozialismus

VII. Ständiges Kolloquium zur historischen Sozialismus- und Kommunismusforschung

Das nunmehr VII. Ständige Kolloquium zur historischen Sozialismus- und Kommunismusforschung bietet Politikern der Europäischen Linkspartei, Historikern und Verlegern die Gelegenheit, Vertreter, Traditionen und Editionsprojekte zum Linkssozialismus vorzustellen und zu diskutieren. Mit dem Kolloquium soll der Versuch unternommen werden, in Anknüpfung und Fortsetzung der bisherigen Kolloquia den Schwerpunkt auf eine besonders im ostdeutschen Umfeld zu wenig beachtete unverzichtbare Traditionslinie der demokratisch-sozialistischen Grundströmung
in der Bundesrepublik Deutschland - den Linkssozialismus - zu legen.
Während bisher durch uns das Schwergewicht auf die Rekonstruktion der demokratischen
Traditionen des deutschen und internationalen Kommunismus und die damit verbundene Befreiung des überkommenen Geschichtsbildes von den Schlacken des Stalinismus im Vordergrund stand, blieb die Erschließung des Linkssozialismus unterbelichtet. War das schon in den zurückliegenden Jahren ein Desiderat, so ist die Dringlichkeit der Weitung linken Traditionsverständnisses mit der Fusion von PDS und WASG zur Partei DIE LINKE unabweisbar.
Auf diesem Kolloquium soll hinterfragt werden, welche Theorieansätze in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung links von der Sozialdemokratie und rechts von der traditionell kommunistisch verorteten Arbeiterbewegung heute noch fruchtbar sind.

Zu den Teilnehmern gehören Dr. Andreas Diers (Frankfurt am Main), Walter Baier (Wien),
Prof. Dr. Michael Buckmiller (Hannover), Prof. Dr. Lothar Bisky (Berlin), Dr. Christoph Jünke (Bochum), Prof. Dr. Mario Kessler (Berlin), Prof. Dr. Klaus Kinner (Leipzig), Prof. Dr. Michael Krätke (Amsterdam), Dr. Gregor Kritidis (Hannover), Dr. Jaroslav Leontjev (Moskau), Dr. Uli Schöler (Berlin), Dr. Henning Tegeler (Frankfurt/Main), Sascha Wagener (Berlin).

Neben einer Einführung in das Thema durch Dr. Andreas Diers werden u.a. folgende Vertreter des Linkssozialismus vorgestellt: Wolfgang Abendroth, Arcady Gurland, Leo Kofler, Paul Levi und Peter von Oertzen. Jaroslav Leontjev informiert über das Editionsprojekt „Dokumente der Partei der Linken Sozialrevolutionäre“.
Leitung und Moderation der Veranstaltung Dr. Wladislaw Hedeler; Prof. Dr. Klaus Kinner
Freitag, 18-20 Uhr, Podiumsgespräch: Linkssozialismus - gestern - heute - morgen
Sonnabend, 10-18 Uhr Konferenz: Traditionen des Linkssozialismus
Gemeinsame Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und der
Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V.

Wladislaw Hedeler schrieb im ND vom 23.5.2008 im Vorfeld der Konferenz:

Linkssozialismus

Wladislaw Hedeler

Zu den Parteien, die beständig auf die Notwendigkeit eines abgestimmten Zusammenwirkens und organisatorischen Zusammenschlusses nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Linken hingewiesen haben, gehörte die PDS. Ihre seit einem Jahr abgeschlossene »kurze Geschichte« stellte immer wieder unter Beweis, dass programmatische Orientierung nicht von einer Klärung des Verhältnisses zur Geschichte des Kommunismus und Sozialismus zu trennen ist. Dies zeigten auch die im Vorfeld des 1. Parteitages der LINKEN zu vernehmenden unterschiedlichen Stellungnahmen zum 1989 formulierten Gründungskonsens der PDS, »mit dem Stalinismus als System zu brechen«, ebenso wie die von Parteiprogramm zu Parteiprogramm nachweisbaren Versuche, das Scheitern des »realen Sozialismus« zu erklären.

Der Zusammenbruch des »sozialistischen Weltsystems« hat die linken Kräfte generell, darunter auch die sozialistischen und kommunistischen, keineswegs einander näher gebracht. Man gewinnt eher den Eindruck, dass auch nach dem Scheitern der sozialistischen Ordnungen, die eine Ursache ihres früheren Zerwürfnisses waren, noch nicht zusammengefunden haben, sondern im Gegenteil mehr als zuvor zersplittert und zerstritten sind. Der Vereinigungsprozess der Linken kann nur dann erfolgreich sein, wenn jede Uniformierung ausgeschlossen wird. Die Absage an jede Form des Zentralismus und eine einheitliche ideologische Ausrichtung á la »Partei neuen Typs« durchzog wie ein roter Faden die Positionspapiere der PDS zur Formierung einer europäischen Linkspartei, die die Durchsetzung einer radikalen und partizipativen Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Die neue Linke definiert sich schon lange nicht mehr nur über die Tradition der Arbeiterbewegung. Wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient eine noch zu wenig beachtete, unverzichtbare Traditionslinie der demokratisch‐sozialistischen Grundströmung in der Zeit der Weimarer Republik und später in der Bundesrepublik Deutschland – der Linkssozialismus. Auch wenn über dessen Wesen noch keine einhellige Meinung besteht, ist unbestritten, das er innerhalb der Arbeiterbewegung seit der Revisionismusdebatte in der II. Internationale als eigenständige Position zu betrachten ist. Fragen der Bündnis‐, Gewerkschafts‐ und Koalitionspolitik standen ebenso wie Fragen nach den Organisationsformen und dem Weg zur Macht in linkssozialistischen Debatten an erster Stelle. Die von einer Polemik gegen die Programmatik der in der II. bzw. der III. (KI) Internationale organisierten Parteien begleitete Rückbesinnung auf Räte‐ und Basisdemokratie und ging mit dem Entwurf einer freien, gerechten, solidarischen Gesellschaft einher.

Die von den in der europäischen Arbeiterbewegung dominanten Strömungen ausgegrenzten Linkssozialisten haben ihre Bewegung stets als Sammlungsbewegung verstanden. Das von ihr zusammengetragene Potenzial gilt es heute zu nutzen. Es ist kein Zufall, das der Berliner Dietz‐Verlag nach der Wende eine Bibliothek »Soziales Denken« in das Programm aufnahm und Autoren vorstellte, die die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen wollten, wie etwa einst Paul Levi oder Anton Pannekoek oder Wolfgang Abendroth. Deren Texte enthalten ebenso anregende wie originelle Überlegungen und setzen Maßstäbe für die Problematisierung aktueller gesellschaftlicher Entwicklung. Angesichts dieses auszuschöpfenden Potenzials und die Nachfrage nach originellen und originären programmatischen Überlegungen ist der zu beobachtende Pragmatismus und die Theorieabstinenz in der Linken heute eigentlich unerklärlich.

Die Linke wird sich weiter im Spannungsfeld zwischen der Verfolgung weiterreichender Reformperspektiven und kurzfristiger Wahl‐ und Regierungsinteressen bewegen und zurechtfinden müssen. Anknüpfend an dieses, von Peter von Oertzen 1996 formulierte Dilemma sei auch an die von ihm eingeforderte Analyse der geschichtlichen Entwicklung und der aus dieser hervorgegangenen Zustände erinnert. Arbeit ist nötig, Hoffen ist erlaubt.

Der Historiker Dr. Wladislaw Hedeler ist Kuratoriumsmitglied des Berliner Vereins »Helle Panke«, der am 6./7. Juni zu einer Tagung über Linkssozialismus lädt

Im ND vom 14./15.6.2008 schrieb Rainer Holze über das Kolloquium:

Ein aktuelles Erbe. Kolloqium über Traditionen des Linkssozialismus

Rainer Holze Bisher befasste sich das von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen ins Leben gerufene Ständige Kolloquium zur historischen Sozialismus- und Kommunismusforschung auf sechs wissenschaftlichen Konferenzen hauptsächlich mit den demokratischen Traditionen des deutschen und internationalen Kommunismus. Nun hielten es die Organisatoren für an der Zeit, den Schwerpunkt auf den Linkssozialismus zu legen. Allein die Fusion der PDS und WASG zur Partei DIE LINKE macht eine Weitung linken Traditionsverständnisses dringlich. So lud die Luxemburg-Stiftung ins Domizil der "Hellen Panke" in Berlin. Unter der Moderation von Klaus Kinner (Leipzig) debtattierten ausgewiesene Historiker aus dem In- und Ausland, darunter Andreas Diers (Frankfurt am Main), Jaroslaw Leontjew (Moskau), Sascha Wagener, Mario Kessler und Uli Schöler (alle drei Berlin), Michael Buckmiller und Gregor Kritidis (beide Hannover), Michael Krätke (Amsterdam) und Christoph Jünke (Bochum) sowie Lothar Bisky. Der Vorsitzende der Europäischen Linkspartei betonte, dass Kenntnis und Ausschöpfung der linkssozialistischen Traditionen für die Identitätsfindung der LINKEN, insbesondere für die Erarbeitung ihres Parteiprogramms unverzichtbar seien. Dementsprechend wünschte er sich von den Geschichtswissenschaftlern gesicherte Erkenntnisse.

Eine grundlegende Einführung in die Thematik bot Diers. Er machte darauf aufmerksam, dass es über die inhaltliche Definition keine abschließende Auffassung gebe. Es gelte, sich Karheit darüber zu verschaffen, worin die Unterschiede des Linkssozialismus zu anderen theoretischen und politischen Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung (Kommunismus, Sozialdemokratie, Austromarxismus, Eurokommunismus) bestehen. Weitgehender Konsens sei, so Diers, dass der Linkssozialismus in Geschichte wie Gegenwart als eine eigenständige Position anzusehen ist. Seit dem sogenannten Revisionismusstreit in der deutschen und internationalen Sozialdemokratie Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts sei Grundkonzept des Linkssozialismus eine dialektische Betrachtung des Verhältnisses zwischen Reform und Revolution. Diese sowohl antirevisionistischen als auch antidogmatischen marxistischen Auffassungen gerieten mit sozialdemokratischen und dann auch kommunistischen Konzeptionen in Konflikt.
Als Gegner einer nur reformistischen Politik, als Streiter gegen Antikommunismus und Antibolschewismus, aber auch als Kritiker einengender Verpflichtung auf verbindliche historische Vorbilder bei revolutionären Veränderungen der Gesellschaft sowie als Fürsprecher einer demokratischen Diskussionskultur saßen die Vertreter des Linkssozialismus zwischen den Stühlen. Als gemeinsame Charakteristika historischer und aktueller linkssozialistischer Positionen nannte Diers u. a. die Abgrenzung gegenüber der Politik der kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien, kritische Haltung zur Theorie und Praxis der sogenannten radikalen Linken sowie zu trotzkistischen, maoistischen und spontaneistischen Gruppen sowie ihre parteiübergreifenden Bemühungen auf nationalstaatlicher und internationaler Ebene, dabei stets Demokratie, Basisinitiative und Selbstverwaltung unterstreichend und Avantgardismus ablehnend.
Linkssozialismus sei nicht vorrangig eine Organisationsfrage, sondern in erster Linie eine Aufklärungsbewegung, bestätigten andere Kolloquiumsteilnehmer, die Protagonisten vorstellten, so Paul Levi, Arcady Gurland, Leo Kofler, Wolfgang Abendroth und Peter von Oertzen. Die teilweise kontroverse Diskussion zeigte, dass weiterer Klärungsbedarf besteht. Dem soll demnächst eine Konferenz zum Austromarxismus dienen.

Im ND vom 25.10.2008, S. 20, gab es zudem einen Bericht von Kurt Schneider über eine Tagung der RLS Sachsen, die an das Kolloquium anschloss:

Wahrung geistiger Autonomie. Linkssozialistische Traditionen in Ost und West - Notizen von einer Tagung

Kurt Schneider

Dem gesamtdeutschen Ansatz linkssozialistischen Denkens nachzugehen, war das erklärte Anliegen der Konferenz »Leo Kofler und Wolfgang Abendroth. Die sozialistische Linke und 1968«, zu der die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen nach Leipzig eingeladen hatte. Sie knüpfte an bisherige Tagungen der Stiftung zum Werk von Walter Markov, Werner Krauss, Ernst Bloch, Fritz Behrens und Emil Fuchs an und setzte damit zugleich die Kolloquienreihe zu Traditionen des Linkssozialismus fort, die die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit dem Verein »Helle Panke« veranstaltet (ND berichtete).

Andreas Diers (Frankfurt am Main) referierte über Abendroths Leistungen im Justizministerium der Mark Brandenburg (Januar bis Juni 1947) sowie als Staats- und Völkerrechtler an den Universitäten in Halle, Leipzig und Jena. Abendroth stand zwar, nach eigenem Bekunden, »kritisch zu manchen Schritten in der sowjetischen Besatzungszone, aber nicht zur Gesamtlinie«. Daher nahm er auch sofort die Einladung Otto Grotewohls im Mai 1948 an, am Entwurf für eine Verfassung für Deutschland mitzuarbeiten. Ende Dezember 1948 sah er sich jedoch gezwungen, aus der sowjetischen Besatzungzone zu fliehen, um einer drohenden Verhaftung durch das NKWD zu entgehen. Bemühungen Ulbrichts, ihn zur Rückkehr zu bewegen, scheiterten. Abendroth wurde nun verketzert und z. B. in der Zeitschrift »Neue Justiz« als »pseudomarxistischer Trotzkist« beschimpft. Richard Heigl (Regensburg) verwies darauf, dass für jenen marxistische Wissenschaft notwendigerweise »Oppositionswissenschaft gegen die herrschende Ideologie« war. Im Konflikt zwischen dem SDS und der SPD entschied sich Abendroth für den Verbleib in der Partei, um in ihr für eine freie geistige Entwicklung zum Marxismus zu wirken.

Nachdem Gerhild Schwendler (Leipzig) über die nur spärlich vorhandenen Belege zu Abendroth im Leipziger Universitätsarchiv informiert hatte, wandte sich Christoph Jünke (Bochum) einem zu Unrecht im öffentlichen Bewusstsein verdrängten Denker zu: Leo Kofler sei in sozialphilosophischer und gesellschaftstheoretischer Hinsicht der wichtigste Vertreter des deutschen Nachkriegs-Linkssozialismus. Um dies zu belegen, verwies Jünke auf dessen Analyse der spätbürgerlichen Integrationsprozesse, seine Kritik der beiden Hauptströmungen der Arbeiterbewegung sowie seine Theorie der progressiven Elite. Mit letzterem habe Kofler der politisch, weltanschaulich und sozial breit gefächerten Neuen Linken Begriff und Struktur gegeben. Er sei für einen Brückenschlag zwischen humanistischen Avantgardisten und organisierter Arbeiterbewegung, »alter« und »neuer« sozialer Bewegung zwecks gemeinsamer Selbstveränderung eingetreten.

Hans-Martin Gerlach (Leipzig) sprach über Koflers Tätigkeit an der Hallenser Universität und die rüden Angriffe auf ihn mit Beginn der Umwandlung der SED zur »Partei neuen Typus«. Unmittelbar nach Erscheinen seines Buches »Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft« wurde Kofler des Revisionismus beschuldigt, die bereits gedruckte zweite Auflage sofort eingezogen und eine Untersuchungskommission eingesetzt. Im theoretischen Organ der SED, der »Einheit«, als »ideologischer Schädling« diffamiert und aus der SED ausgeschlossen, wurde Kofler am 16. September 1950 »mit sofortiger Wirkung von den Pflichten als Professor entbunden«. So blieb auch ihm nur noch der Weg nach Westdeutschland.

Ein anderes Beispiel schilderte Volker Caysa (Köngersheim). Er würdigte den Leipziger Philosophiehistoriker Helmut Seidel, der wegen seiner Praxis-Philosophie in die Mühlen dogmatischer Kritik in der DDR geraten war. Obwohl diesem immer wieder von der Parteiorthodoxie philosophischer Revisionismus unterstellt worden war, entschied sich Seidel, im Sozialismus für den Sozialismus zu wirken, was freilich einschloss, sich in die Verhältnisse einzupassen. Doch: »Was wie An- und Einpassung durch Rückzug aussah«, so Caysa, »war de facto Wahrung von Autonomie«.

Die Referate sollten alsbald durch Publikation einem größeren Kreis von Interessenten zugänglich gemacht werden.