Samstag, 26. September 2009, 10:00 bis 18:00, RLS, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin

"Man kann nicht Marxist sein, ohne Utopist zu sein ..."

Fritz Behrens zum 100. Geburtstag

Der am 20. September 2009 anstehende 100. Geburtstag dieses international angesehenen Ökonomen und Statistikers der DDR bietet den Anlass für einen Workshop, bei dem die Beschäftigung mit Behrens exemplarisch für eine produktive Befragung und Aufnahme der verschiedensten wissenschaftlichen wie politischen Denk- und Traditionslinien innerhalb der heutigen bundesdeutschen Linken steht.

Inhaltlich ist der Workshop auf drei Schwerpunkte ausgerichtet:
Erstens auf Fritz Behrens` Beitrag zu einer sozialistischen Reformökonomie,
zweitens auf seine Utopie vom Sozialismus und ihrer heutigen Relevanz sowie
drittens auf mögliche produktive Anregungen und weiterführende Fragestellungen seines Werkes für eine Kritik der politischen Ökonomie der Linken heute.

Mit Beiträgen von Prof. Dr. Christa Luft (Berlin), Dr. Stefan Bollinger (Berlin), Dr. Hans-Georg Draheim (Leipzig), Dr. Dieter Janke (Leipzig), Prof. Dr. Günter Krause (Berlin), Dr. Manfred Lauermann (Hannover), Christoph Lieber (Hamburg), Prof. Dr. Klaus Steinitz (Berlin), Prof. Dr. Peter Thal (Halle) und Prof. Dr. Frieder O. Wolf (Berlin).

Im ND vom 19./20.9.2009 erschien vorab ein Artikel zur Konferenz:

„Wo immer er war, gab es Glanz“

Dieter Janke/Günter Krause

Offensichtlich scheint die „List der Geschichte“ zu walten. Just in Zeiten, in denen der Krisenkapitalismus Fragen der gesellschaftlichen Alternativen auf die politische Agenda setzt, Theorie und Praxis eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts zur Debatte stehen, Marx` ökonomisches Denken wieder en vogue scheint, die LINKE „im Westen angekommen“ ist (H. Prantl) und mit ihren verschiedenen Politik- und Denktraditionen programmatisches Profil finden muss, fällt der 100. Geburtstag des ungemein streitbaren Marxisten und international renommierten DDR-Ökonomen Fritz Behrens. Sein Leben und Werk vereinigen auf „sehr exemplarische Weise Individuelles und Gesellschaftliches in einer Wissenschaftler-Biographie der DDR aus der Gründergeneration“, meinte der unlängst verstorbene Soziologe und profunde Behrens-Kenner Helmut Steiner. Jene Wertung zielt auf den Kreis marxistisch geprägter, in sozialistischen bzw. kommunistischen Gruppierungen politisch geformter Wissenschaftler, die sich nach der Befreiung vom Faschismus in besonderer Weise für den gesellschaftlichen Neuanfang in der SBZ bzw. der DDR engagierten. So avancierte Behrens gemeinsam mit Ernst Bloch, Walter Markov, Werner Krauss oder Hans Mayer zu einem der intellektuellen Pioniere an der Leipziger Universität und Schulen bildenden Hochschullehrer. Zugleich sollten nicht Wenige dieses Kreises infolge ideologischer Diffamierung und politischer Kriminalisierung, persönlichen Repressalien sowie politischer wie wissenschaftlicher Ausgrenzung seitens des Macht- und Herrschaftsapparates der SED teils tiefe Brüche ihrer Biographien erfahren. Diese Prozesse vollzogen sich insbesondere im Zuge der Ende der 40er bzw. Anfang der 50er Jahre forcierten Stalinisierung der SED sowie im Umfeld des XX. KPdSU-Parteitages von 1956. Behrens gehörte zusammen mit seinem Schüler A. Benary sowie G. Kohlmey, H. Wolf und K. Vieweg zu jenen DDR-Ökonomen, die Mitte der 50er Jahre alternative Entwicklungen in Theorie und Praxis der Planökonomie aufzeigten. Doch das kurze politische „Tauwetters“ wandelte sich vor allem nach Volkserhebungen in Ungarn und Polen im Herbst 1956 bald wieder zu neuer „Eiszeit“. Machterhalt sowie „Einheit und Geschlossenheit der Reihen“ war die Losung der SED-Führung. Behrens und seine Mitstreiter wurden dabei ob ihrer freimütiger Kritik und der Infragestellung orthodoxer ökonomischer Dogmen des „Revisionismus“ bezichtigt. Angesichts der ihm von der SED-Spitze verliehenen politischen Dimension, firmiert fortan der von Behrens initiierte reformökonomische Aufbruch unter dem aburteilenden Kampfbegriff der „Revisionismus-Debatte“ in den Wirtschaftswissenschaften.

Einer Rostocker Seefahrer-Familie entstammend, frühzeitig im linkssozialistischen Milieu aktiv und seit 1932 KPD-Mitglied, studierte Behrens von 1931/35 Volkswirtschaftslehre in Leipzig. Nach der Promotion (1936) war er als Referendar im Statistischen Reichsamt in Berlin bzw. im Statistischen Zentralamt in Prag tätig. Zunächst von 1946/54 in Leipzig lehrend und forschend, in diversen Leitungsfunktionen der Universität sowie ihrer SED-Organisation tätig, wurde Behrens 1954 zum Stellvertretenden Direktor des in Gründung befindlichen Akademie-Institut für Wirtschaftswissenschaften in Berlin berufen. Zudem übernahm er die Leitung der Abteilung „Wirtschaft der DDR“. Im folgenden Jahr avancierte er zum Stellvertretenden Chef der Staatlichen Plankommission (SPK) und Leiter der Zentralverwaltung für Statistik und damit auch zum Mitglied des Ministerrates. Mit seinem Namen ist unmittelbar die Edition der ersten beiden Bände des „Statistischen Jahrbuches der DDR“ verbunden. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften wählte ihn 1956 zu ihrem Ordentlichen Mitglied. Als in der ersten Hälfte der 60er Jahre mit dem „Neuen Ökonomischen System“ eine Reform zur Steigerung der Effizienz der Planökonomie initiiert wird – ursprünglich spezielles Anliegen von Behrens – bleibt er aus politischen Gründen jedoch außen vor.

Jürgen Kuczynskis Worte – „Wo immer Fritz aktiv war, gab es Blüte, gab es Glanz“ – fanden ihre Bestätigung in Forschungen zu Statistik und Theorie, Methode sowie Geschichte der politischen Ökonomie, zu Arbeitsproduktivität und „sozialistischer Warenproduktion“, speziell zur Rolle von Wertgesetz, Plan, Markt und Wertkategorien. Behrens’ Spätwerk konnte aufgrund seiner konsequent linken, sich an der Marx` Methodik orientierenden Analyse und Kritik des „Realsozialismus“ zu DDR-Zeiten nicht erscheinen und blieb leider auch bis dato weitestgehend unerschlossen. Mit den in den 70er Jahren in der Abgeschiedenheit der selbst gewählten inneren Emigration verfassten und 1992 postum veröffentlichten Manuskripten[1] nahm Behrens das Ende des „Realsozialismus“ wie auch dessen Ursachen gedanklich vorweg. So heißt es hier u. a.: „Eine Revolution, die das kritische Denken negiert und die Freiheit den Mächtigen zu widersprechen, ohne die Möglichkeit, die Repräsentanten der Gesellschaft auf friedliche Weise zu lenken – wie die russische Revolution –, verdirbt sich selbst und restauriert die alten Strukturen.“ Jenen Einsichten war ein schmerzlicher Erkenntnisprozess vorausgegangen, der mit Revisionismusvorwürfen in der späten 50er Jahre begann und mit geharnischter politischer Zurechtweisung sowie dem Ausscheiden aus dem offiziellen Wissenschaftsbetrieb nach einem Auftritt in Frankfurt/M. 1967 aus Anlass des 100. Jahrestages des ersten „Kapital“-Bandes weitestgehend abgeschlossen war. Die zentrale Frage, die Behrens in den folgenden Jahren umtrieb, war die nach dem Wesen der in der DDR wie überhaupt in den Ländern des „Realsozialismus“ existierenden sozialökonomischen Strukturen. Wie sind die Verhältnisse, an denen sein demokratisches Sozialismusverständnis offenbar mit Naturnotwendigkeit abprallte, historisch einzuschätzen? Wo liegt der Fehler? Und: Ist das überhaupt Sozialismus? All jene Fragen berührten seinerzeit offiziell als sakrosankt erklärte Probleme. In Behrens’ Manuskripten ist der Sozialismus nicht über den Zustand einer konkreten Utopie hinausgekommen – nie Realität geworden. Wirklicher Sozialismus nach Marx, so Behrens, bedeute Gleichheit und Freiheit ohne Gewalt: „Ein undemokratischer Sozialismus ist so wenig Sozialismus wie ein unmenschlicher oder einer mit unmenschlichem Antlitz.“ Das wiederum bedeutet: „Der Begriff eines demokratischen Sozialismus ist ein Pleonasmus ..., weil es ohne Sozialismus keine – wirkliche – Demokratie geben kann und der Sozialismus die Verwirklichung der Demokratie ist.“ Fritz Behrens’ Vision gilt einer sich selbst verwaltende Gesellschaft auf der Basis der Assoziation freier Produzenten. Das entscheidende sozialökonomische Problem dabei sieht er in der Realisierung der Eigentümerfunktion der Produzenten. Mit ihr verliere die Arbeitskraft ihren Warencharakter; Ausbeutung und Entfremdung werden beseitigt. Bedingung sei allerdings nicht die bloß formale Verstaatlichung der Produktionsmittel, sondern deren tatsächliche Vergesellschaftung: „Vergesellschaftung der Produktionsmittel dagegen ist die Kategorie einer – noch nicht existenten – sozialistischen Ökonomie und bedeutet die Überführung des Eigentums an Produktionsmitteln in die Gesellschaft und damit aller Entscheidungsbefugnisse ökonomischer und politischer Art in die als assoziierte Produzenten organisierte Gesellschaft.“ Sozialismus – so dass Unabgegoltene von Behrens` Vision einer gesellschaftlichen Alternative – ist die konsequente Demokratisierung über die Sphäre des unmittelbar Politischen hinaus: Sozialismus bedeutet Wirtschaftsdemokratie.

Aus Anlass des 100. Geburtstages führen die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Helle Panke e. V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. am 26.09.2009, 10.00 bis 18.00 Uhr einen Workshop durch. Ort: Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Seminarraum 1, 1. Stock.

[1] Fritz Behrens, Abschied von der sozialen Utopie, Berlin 1992

Jörg Roesler besprach zudem im ND vom 6.-10. Oktober 2010, S. 17 unter dem Titel "Zukunft antizipiert" das von Günter Krause und Dieter Janke herausgegebene Buch "Man kann nicht Marxist sein, ohne Utopist zu sein..." Texte von und über Fritz Behrens. Hamburg, VSA 2010.

Moderation: Prof. Dr. Günter Krause
Kosten: Eintritt: 5 Euro mit Verpflegung

Wo?

RLS
Franz-Mehring-Platz 1
10243 Berlin