Dienstag, 11. September 2012, 19:00 bis 22:00, tazcafé, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin

"Sag mir wo Du stehst"– Geschichte hat viele Facetten

Filmvorführung mit anschließender Debatte

mediatuesday

In dem Film „Sag mir, wo du stehst” lassen Anja Reiß und Márk Szilágyi ehemalige Insassen der MfS-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen und Mitarbeiter der Staatssicherheit aufeinandertreffen.
Ihr Umgang mit der traumatischen Vergangenheit ist individuell und zeigt verschiedenen Facetten der Geschichte. Der Dialog zwischen den beiden Seiten versucht zu verstehen, statt zu verurteilen.
Das Gesagte der Zeitzeugen bleibt dabei unkommentiert. Der Film lässt die Beurteilung von Anklagen, Verleumdungen und Rechtfertigungen beim Zuschauer.
Der Kurzfilm wurde mit dem Alternativen Medienpreis 2012 ausgezeichnet.

In der Veranstaltung wird der Film gezeigt (Spielzeit 30 Minuten).
Anschließend stehen in einer Podiumsdiskussion Rede und Antwort:

Anja Reiß und Márk Szilágyi (Filmakademie Baden-Württemberg)
Dr. Klaus Panster (ehemaliger Ermittler des MfS)
Klaus Schulz-Ladegast (ehemaliger Insasse der MfS-Untersuchungshaftanstalt)
Prof. Dr. Wolfgang Wippermann (Historiker, FU Berlin)
Dr. Thomas Klein (Historiker, bis 2011 Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam)
Stefan Reinecke (Redakteur im Parlamentsbüro der taz, die tageszeitung)

Moderation: Christoph Nitz (Journalist und LiMA-Vorstand)

Eine Veranstaltung von Helle Panke e. V. in Kooperation mit Linke Medienakademie [LiMA] e.V. und taz, die tageszeitung

Im Anschluss erschien in der Tageszeitung Neues Deutschland dieser Beitrag zu diesem Abend:

...und welchen Weg du gehst Ein Film, eine Diskussion und die mehr als 20-jährige Frage, wie man mit dem Stasi-Thema angemessen umgeht Gabriele Oertel

Irgendwann stöhnt eine Zuhörerin auf. Sie spricht von ihrer Irritation über die moralisierende »Versöhnungssehnsucht«, die für sie über dem Dienstagabend im Berliner taz-Café schwebt. Da hatten die Besucher der von Linker Medienakademie (LiMA) und Helle Panke organisierten Veranstaltung bereits den halbstündigen Film »Sag mir, wo du stehst« gesehen – und eine gehörige Weile Filmemachern, Film-»helden« und diversen Interpretatoren zugehört. Da waren sie zuvor an einer Jugendgruppe am Checkpoint Charly vorbeigekommen, die sich dem Kalten Krieg an einem der letzten Sommerabende 2012 auf ihre Art genähert hatten – und feixend Mützen von Sowjetarmee und US-Army für das obligatorische Fotoshooting aufsetzten. Da hatten die ersten schon ermüdet den Raum wieder in diese Richtung leichtfüßiger Vergangenheitsbewältigung verlassen ...
Wie begegnen Insassen und Mitarbeiter der MfS-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen einander? Nähern sie sich gar? Oder sind am Ende doch nur zwei von all den Befragten geblieben, die sich auf einen Dialog einlassen? Behutsam und doch eindringlich ist der von Anja Reiß und Mark Szilagyi von der Filmakademie Baden-Württemberg vorgelegte und mit dem Alternativen Medienpreis ausgezeichnete Film diesen Fragen auf der Spur. Da sind Gefangene, die bis heute schwer mit dem Erlebten in der Haftanstalt kämpfen, die noch lange nicht mit ihrem damaligen Gegenüber fertig sind und die auch die vielzitierten historischen Vergleiche zum Faschismus ziehen. Da sind MfS-Mitarbeiter, an denen die vergangenen zwei Jahrzehnte wenig sachlicher Aufarbeitung insofern nicht spurlos vorübergingen, als sie trotzig-schäumend die Klischees ihrer Unbelehrbarkeit bestätigen. Da sind Bilder von langen Fluren, tristen Zellen, da ist das Tonbandgerät, die ewig hämmernde Schreibmaschine aus dem Vernehmungsraum. Und da sind der ehemalige Häftling Klaus Schulz-Ladegast und der Ex-MfS-Ermittler Klaus Panster, die das ihnen zugewiesene Täter-Opfer-Terrain – auch bisweilen zur Empörung ihrer jeweiligen einstigen Gefährten – verließen und seit geraumer Zeit und auf Initiative von Schulz-Ladegast in Abständen miteinander sprechen. »Ich würde etwas vermissen, wenn wir diese Gespräche nicht hätten«, räumt der frühere Ermittler freimütig ein, der sich nicht als Schuldbeladener sieht und dennoch gesteht, »dass wir eine gute Sache nicht gut vertreten haben«.
»Ohne Dialog wird keine wirkliche demokratische Gesellschaft aufgebaut werden können«, sagt der Ex-Häftling, der nach eigener Aussage mit den Auswirkungen von Feindbildern aufgewachsen ist – »ich war nie ein Teil des Systems DDR und von Geburt an Oppositioneller« – und der jetzt wissen will, »wie Feindbilder entstehen, was sie bewirken und wie man sie überwinden kann«.
Wahrscheinlich kann eine Podiumsveranstaltung mit sieben Diskutanten und einem Moderator nicht fortsetzen, was Bilder und Töne können. Denn während im Film die Sicht auf Jahrzehnte zurückliegende Erfahrungen, ihre Reflexion im Heute, sich verfestigte oder womöglich wankende Gewissheiten völlig unkommentiert bleiben – ein Suchen und zugleich der Versuch, zu verstehen statt zu verurteilen –, bleiben hernach auf dem Podium neben Schulz-Ladegast und Panster den übrigen Diskutanten nur die üblichen Statements im Stakkato.
Dem Historiker Prof. Dr. Wolfgang Wippermann von der Freien Universität in Berlin ist wichtig, den Vergleich der DDR mit dem Dritten Reiche eine Absage zu erteilen und eine gemeinsame Erinnerungspolitik – keine von außen und keine von oben – anzumahnen, zu der auch die stattgefundenen Skandale der Bundesrepublik gehörten. Sein Historikerkollege Thomas Klein (in der DDR mit Berufsverbot belegt, Bürgerrechtler und Gründungsmitglied der Vereinigten Linken und bis 2011 am Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam), sieht nicht im Ministerium für Staatssicherheit das Problem. »Das System war der Fehler«, sagt er. Und taz-Redakteur Stefan Reinecke verweistauf das ambivalente Verhältnis der LINKEN zur Vergangenheit, wo er neben tapferer Aufarbeitung auch eine »falsche Familiärheit« zu Angehörigen des MfS ausmacht.
Es scheint, dass es für »Außenstehende« bei diesem schwierigen Thema leichter ist, zu sagen, wo man steht. Aber auch nach 22 Jahren ist – über einzelne persönliche Begegnungen hinaus – nicht klar, welchen Weg die Gesellschaft einschlagen will. Die eingangs erwähnte »Versöhnungssehnsucht« wäre eine Möglichkeit.

Autorin: Gabriele Oertel
in: neues deutschland vom 13. September 2012, S.15

Linke Medienakademie [LiMA] e.V. und taz, die tageszeitung

Kosten: 1,50 Euro

Wo?

tazcafé
Rudi-Dutschke-Str. 23
10969 Berlin