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Heft 241: Was kann weg – für ein stabileres Klima?

Sozialökologische Reduktion – Vorschlag für eine Transformationsstrategie

Von: Frank Adler

Heft 241: Was kann weg – für ein stabileres Klima?

Reihe "Pankower Vorträge, Nr. 241, 2023, 66 S.

Am 1. März 2023 referierte Frank Adler in der „Hellen Panke“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe zu linker Wachstumskritik zum Thema. 
Vorliegendes Heft enthält den erweiterten verschriftlichten Vortrag und geht auf einige Fragen und Aspekte aus der Diskussion ein.
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Autor

Frank Adler

Dr. sc., ist Soziologe und arbeitet zu Postwachstum und sozialökologischer Transformation. Sein jüngstes Buch: Wachstumskritik, Postwachstum, Degrowth. Wegweiser aus der (kapitalistischen) Zivilisationskrise erschien 2022 im oekom Verlag. In unserer Publikationsreihe „Pankower Vorträge“ war er beteiligt an Heft 211 (Postwachstum als Transformationsperspektive. Diskurs und Bewegung, Übergänge und Spannungen, mit Jana Flemming und Norbert Reuter, 2017) und Heft 160 (Rote Projekte für den grünen Umbau. Was linke und andere Konzepte bieten, wenn es um die Bewältigung der Öko-Krisen geht, mit Detlef Bimboes und Hans Thie, 2011).

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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
0. Was habe ich vor?
1. Die „klimapolitische Lage“

1.1 Erneuerbare Energie – unbegrenzt und billig verfügbar?
1.2 Unterschiedliche Konsequenzen
2. Sozialökologische Reduktion (SöR): Konturen und Vorschläge                    
2.1 Leitideen
2.2 Sozialökologische Reduktion – klimapolitisch akut
2.3 Was sollte wie reduziert werden?
2.4 KonzeptulleVerwandtschaften und Anknüpfungspunkte
2.5 SöR – Konvergenzpunkt öko-sozialer Bewegungen?
2.6 „Gegenwinde“ und Vorbehalte
3. Das 1,5-Grad-Ziel erreichen – auch durch Bedarfsreduktion, ohne Risiko-Technologien (Fallbeispiele für Reduktionspfade)
3.1 Wohnen
3.2 Mobilität und Verkehr
3.3 Erwerbsarbeitszeiten
3.4 Werbung
4. Diskursthemen
4.1 Notwendig rasche CO2-Reduktion vs. Trägheiten in der parlamentarischen Demokratie?
4.2 SöR – Impuls für wachstumsunabhängige sozial-ökonomische Stabilität
4.3 Gewerkschaftliche Verteilungskämpfe ohne Wirtschaftswachstum?
Anhang
Abbildung
Literatur

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LESEPROBE (S. 15-29)
 

2. Sozialökologische Reduktion: Konturen und Vorschläge

2.1 Leitideen

„Reduktion“ ist eine Forderung, ein Gebot oder eine Konsequenz, die sich in Konzepten von „sozialökologischer Transformation/ökologischem Umbau“ und „nachhaltiger Entwicklung“ auf drei miteinander verbundene Prozesse und Ebenen bezieht, auf

  • zu verringernde anthropogene, als „ökologisch schädlich“ bewertete spezifische (zumeist stofflich vermittelte) Einflüsse (THGE, Bodenversiegelung, Mikroplastik etc.) auf Funktionen, Leistungen von Natur für die menschliche Zivilisation;
  • Parameter des kritischen anthropogenen Naturverbrauchs insgesamt
  • sowie auf den ökologisch relevanten Umfang von Wirtschaftstätigkeit (Produktion, Infrastrukturen, Konsumtion etc.), vorrangig in den früh industrialisierten Ländern, als übergreifende Ursache für Öko-Krisen.

Am gebräuchlichsten ist die erste Ebene. Reduktion erfolgt hier vor allem über die völlige Substitution oder das Begrenzen des Schädlichen, sei es durch Ersatz (neue Stoffe bzw. Technologien), das Fixieren von Obergrenzen der Belastbarkeit oder komplettes Weglassen. Sie ist oft Moment technologischer und ökonomischer Prozesse der Transformation in Form von Konversion oder Abwicklung bzw. Rückbau.

Bearbeitet werden ökologische Probleme häufig, indem die besonders kritisch bewerteten Symptome oder Effekte räumlich, zeitlich, medial und damit auch sozial verlagert werden, in der Grundtendenz – weg von den Verursachern und Profiteuren (im weiten Sinne des Wortes). Deshalb wird in stringenteren Ansätzen von sozial-ökologischer Transformation (söT) und Nachhaltigkeit die zweite Ebene betont, pragmatisch ausgedrückt: Die jeweilige „Problemlösung“ soll nicht als „Problemverschiebung“ zu Lasten anderer Naturprozesse erfolgen. Im Gegenteil, sie sollte diese eher - angesichts der erreichten Nähe zu Kipppunkten – im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit entlasten. Reduktion von Naturverbrauch bemisst sich dabei letztlich – erdsystemanalytisch formuliert - an Schritten zur Rückkehr in sog. sichere Operationsräume innerhalb planetarer Grenzen, also an einer entsprechend verringerten anthropogenen Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen/Fähigkeiten. Sie zielt auf eine gestärkte Absorptions- und Regenerationsfähigkeit insbesondere jener Systeme, deren „Funktionen“ menschliches Leben und zivilisatorische Entwicklung bisher ermöglichten.

Die dritte Form, also in ökologischer Absicht begrenzte Wirtschaftsaktivität, ist bisher beschränkt auf spezielle Unternehmen oder Branchen. Sie ist zumeist eine mögliche Begleiterscheinung des ökologischen Umbaus in Form der Konversion von Produktionen (z. B. Pkw-Motoren für Verbrenner). Auf volkswirtschaftlicher oder globaler Ebene war dies bislang nur zu beobachten als unbeabsichtigter Nebeneffekt von Krisen („Degrowth by Desaster“). Akut wird die gezielte Reduktion des volkswirtschaftlichen Ausmaßes der Wirtschaftstätigkeit im klimapolitischen Konfliktfall: Gelingt es nicht durch technologische Substitutionen, Öko-Effizienzsteigerung oder andere Strategien im Rahmen des gegebenen ökologisch relevanten Umfangs von Wirtschaften kritische Grenzen der Naturbelastung zu erhalten, lebenserhaltende planetare Grenzen einzuhalten und dafür politisch fixierte ökologische Ziele und Zeiträume zu erreichen, so wäre die (verursachende) Wirtschaftstätigkeit selbst ökologisch und sozial sinnvoll einzuschränken. Das ist der hier vertretene Vorschlag für den wahrscheinlich bevorstehenden klimapolitischen Ernstfall.

Aber diese Problemsicht widerspricht diametral der profit-, wettbewerbs-, wachstumsorientierten Wirtschaftsweise und der damit korrespondierenden Kultur und gesellschaftlich weit verbreiteten Problemwahrnehmungen einschließlich der Klimawissenschaften. Deshalb wird für diesen Ernstfall scheinbar vorgesorgt mit Schlupflöchern in Gestalt von (künftigen) Technologien, die bestenfalls Risiken verlagern (CCS, Geoengineering).

Vor diesem Hintergrund und gegen die hegemoniale, das Ökonomische priorisierende Vorstellungswelt und Praxis soll „Reduktion“ stark gemacht werden. Dies im doppelten Sinne:

  • allgemein als Insistieren auf das notwendige kritische „Weniger“ an Naturverbrauch in der Gesamtbilanz jeglicher Strategien/Konzepte, die den Anspruch sozialökologischer Transformation oder ökologischer Nachhaltigkeit erheben.
  • Speziell und im engeren Sinne als Verweis auf die vielfältigen Möglichkeiten durch Praktiken und Politiken des Unterlassens und Vermeidens, des Rückbaus und Abwickelns, des Priorisierens, Deckelns und Kontingentierens, nicht zuletzt auch durch Verbieten, Bedarfe nach Naturverbrauch des globalen Nordens rasch und spürbar zu verringern – dies ohne die verschlungenen „Umwege“ ökomodernisierender Innovationen und Investitionen mit ihren materiellen Fußabdrücken, Renditeerwartungen, Rebound-Effekten, Wachstumsabhängigkeiten.

Hauptsächlich um dieses letztere (engere) Verständnis von Reduktion geht es in diesem Text. Es umfasst eine breite Palette von Wegen und Strategien. Sie reicht von der persönlichen Wahl eines suffizienten Lebensstils, über Versuche, soziale Normen oder „Konsum-Korridore“ (Blättel-Mink et al. 2013) für öko-verträgliche Bedarfe (z. B. Wohnfläche) oder Einkommen zu fixieren bis hin zu bis hin zur Transformation gesellschaftlicher Bedingungen, um kompensatorische Bedürfnisse einzudämmen. Dies umfasst auch verbindliche staatliche Vorgaben, einschließlich der Möglichkeit, bestimmte Sektoren der Wirtschaft aus klimapolitischen Gründen sozial verträglich abzuwickeln. Letzteres ist natürlich – wie alles, was über freiwillige Lebensstilentscheidungen hinausgeht – streng tabuisiert. Betriebsschließungen aus ökonomischen Gründen mit Tausenden von Betroffenen werden zwar ev. mit Bedauern, aber ohne Aufschrei, als quasi-natürlicher Vorgang der „Marktbereinigung“ öffentlich registriert (kürzlich etwa Galeria Karstadt Kaufhof-Filialen). Demgegenüber gäbe es sicher einen Sturm der Entrüstung, würden bestimmte Unternehmen auf politischem Wege für „entbehrlich“ bzw. für ökologisch, klimapolitisch „untragbar“ erklärt.

Solche kulturellen Mauern zu durchbrechen, ist ein wesentliches Anliegen des Konzepts söR. Deshalb steht bei der Auswahl von „Kandidaten“ für söR nicht unbedingt der jeweils unmittelbar messbare CO2-Ausstoß im Vordergrund. Nehmen wir als Beispiel die m. E. ökologisch erstrebenswerte weitgehende Liquidation der Werbe-Industrie (s. Kap. 3.4). Sie könnte auf vielfältige Weise Naturkreisläufe entlasten: geringerer laufender Verbrauch an Material, Energie, Infrastrukturen; Einnahmen und Einkommen entfallen samt ihrer konsumierten/investierten materiellen Äquivalente; keine (manipulativen) Kaufanreize, auch das Trugbild, wir lebten in einer Welt materiellen stets verfügbaren Überflusses würde „leiden“; Arbeitskraft würde frei für wichtige andere Aufgaben (Care, Klimaschutz und -anpassung etc.); gigantische, weitgehend werbefinanzierte Internet-Konzerne würden ökonomische und politische Macht einbüßen.

Ökologisch begründete und sozial gestaltete Reduktion von Naturverbrauch durch begrenzte wirtschaftliche Aktivität wäre das Ziel von söR, nicht ein geschrumpftes Bruttoinlandsprodukt (BIP). Allerdings kann letzteres eine volkswirtschaftliche Folge sein. Sie ist aber kein Grund, vor Reduktion zurückzuschrecken, eher eine Aufforderung, vorausschauend Vorkehrungen zu treffen, dies sozialökologisch zu gestalten (s. Kap. 4.2). Erste, in ihren Effekten überschaubare reduktive Schritte zielen nicht auf die ganz Große Transformation. Sie wären eher Übungsfälle für einen vermittelnden qualitativen Umstieg von der dominanten Technik- und Wachstumsfixiertheit auf Klima- und Öko-Neutralität durch weniger Naturverbrauch.

2.2 Sozialökologische Reduktion – klimapolitisch akut

Im aktuellen Kontext ist söR vor allem der Versuch einer politischen Antwort auf die akuten Klima- und anderen Öko-Krisen, ein Vorschlag für Alternativen zu Politiken des ökomodernisierenden Pfades zu erhoffter Klimaneutralität und zu seinen Risiken, Kosten und den möglichen Konsequenzen seines klimapolitischen Scheiterns. Sie eröffnet niedrigschwellige Einstiege in eine umfassende sozialökologische Transformation (söT), speziell auch in den dafür erforderlichen Kulturwandel nichtnachhaltiger Normalität und ihrer alltäglichen Praktiken. SöR ist eine zugespitzte, auf neue klimapolitische Dringlichkeiten reagierende wachstumskritische Variante sozialökologischer Transformation und ein Vorschlag für eine präventive Abwehr von Gefahren, die aus einem Verfehlen klimapolitischer Ziele erwachsen würden.

Gemäß einer vorherrschenden Denkweise in Wirtschaft, Politik und weiten Teilen der Wissenschaft gilt der durch tendenziell wachsende Produktion und Konsumtion bestimmte Bedarf an Energie mehr oder weniger als fixe, nahezu tabuisierte Ausgangsgröße. Sie sollte zwar durch technische Effizienzsteigerungen verringert und von politisch anerkannten ökologisch problematischen Nebenwirkungen (insbesondere THGE) möglichst risikoarm bereinigt werden. Prinzipiell wird sie aber nicht in Frage gestellt – etwa indem der Umfang von Produktion und Konsum der ökologisch sauber verfügbaren grünen Energie reduktiv angepasst werden.

SöR hingegen insistiert auf eine Umkehr der Priorität und Sichtweise, praktisch beginnend mit verringerten „Bedarfen“ in solchen Bereichen, die aus einer Gebrauchswert-, Lebensqualität- oder Gemeinwohlperspektive am entbehrlichsten sind und deren Reduktion oft sogar nützlich ist. Die Handlungslogik wäre im klimapolitischen Konfliktfall gänzlich anders: Wenn der Bedarf an Energie die THGE-Ziele übersteigt, hätte Klimaschutz Priorität und der Bedarf an Energie wäre einzuschränken – ohne Rückgriff auf riskante Technologien des Abscheidens, Absaugens etc. und ohne andere öko-modernisierende Technologien mit ihren Rebound-Wirkungen zu forcieren. Das wäre ein Paradigmenwechsel, nicht hat nur in der Klimapolitik.

Was als „systemrelevanter Bedarf“ und was als entbehrlich oder überflüssig gilt, wäre an gesellschaftlich, demokratisch auszuhandelnden sozialen Kriterien (Gebrauchswert, Bedürfnisnähe, Gemeinwohl, soziale Gerechtigkeit) zu bemessen, nicht durch übergeordnete schützenswerte ökonomische „Ziel-Werte“ (BIP, Wachstum, internationale Wettbewerbsfähigkeit). Prozesse sozialökologischer Reduktion beinhalten sozial zu gestaltende Ziele, Bedingungen, Konsequenzen: sozial gestaffelte Reduktion nach dem Verursacherprinzip verringert soziale Ungleichheit; Vorsorge für sozioökonomische Stabilität im Falle sinkenden BIPs; soziale Bedingungen für sich steigernde individuelle Bedarfe können eingedämmt werden (kompensatorischer oder Statuskonsum, multiple Wettbewerbsorientierung etc.).

Ökologisch hebt söR das hervor, worum es im Kern auch bei den bereits als notwendig anerkannten technisch-ökonomisch vermittelten Konversionen etwa in der Energie- und Automobilbranche geht – um die Reduktion kritischen Naturverbrauchs in der Gesamtbilanz und in schrumpfenden Zeiträumen. Priorisierungen, der Wechsel von Energieträgern, Rohstoffen, Technologien, die damit korrespondierende Konversion von Branchen, Produkten etc. sind ein Mittel zum Zweck. Wenn aber diese Wege in den dafür noch verfügbaren Zeiträumen nicht zielführend sind, müssen Bedarfe und Verbräuche in Produktion und Konsumtion verringert werden. Das ist – wie bereits angemerkt - eine Umkehr der jetzt dominanten Praxis, in der die Bedarfe der Industrie unverrückbare Ausgangsgrößen sind und im Konfliktfall, das Erreichen prioritärer Reduktionsziele suspendiert oder auf erhoffte problematische künftige Technologien delegiert wird. Diese Denkweise basiert auf Werten, die ökologischen Reduktionszielen übergeordnet werden (sozioökonomische Stabilität durch ein wachsendes BIP; internationale Konkurrenzfähigkeit, technische Problemlösungen als Inkarnation von Modernität, Fortschritt, Naturbeherrschung etc. als Eigenwerte und als Garanten materiellen Wohlstands).

SöR zielt – ergänzend zur ökotechnologischen Dekarbonisierung des industriellen Stoffwechsels – auf eine möglichst direkte und rasche Reduktion des Energiebedarfs und Naturverbrauchs durch Strategien eines ökologisch gezielten, demokratisch legitimierten und sozial gerecht verringerten Umfangs von ökonomischen Aktivitäten, vorrangig in solchen Bereichen, die Lebensqualität und Gemeinwohl nicht beeinträchtigen, eher verbessern. Diese Art von Reduktion ist ein Gebot primär für Länder des globalen Nordens. Sie ist aber auch für den globalen Südens relevant, speziell für die sog. Schwellenländer und die imperiale Lebensweise ihrer wachsenden Mittel- und Oberschichten.

Nötig sind dafür politisch zu gestaltende Umverteilungen, Innovationen und Rückbauten, die ohne umfangreiche finanzielle und materielle Investitionen mit ihren je eigenen ökologischen Fußabdrücken und Rebound-Effekten auskommen, damit auch ohne neue Wachstumsabhängigkeiten.

Orientierend für die Gestaltung von Prozessen söR sind:

  • das Vorsorgeprinzip - z. B.: Vorrang von Klimaschutz vs. Abhängigkeit von unausgereiften, riskanten Technologien; Vorkehrungen für sozioökonomische Stabilität im Falle eines sinkenden BIP;
  • das Verursacherprinzip als Regulativ der Verteilung von Reduktionskosten – Gruppen mit dem größten Fußabdruck tragen auch den höchsten Anteil der Kosten.
  • Beides ist konstitutiv für das praktizierte Verständnis von sozialökologischer Gerechtigkeit – im nationalen und globalen Maßstab.
  • All dies impliziert auch Übergänge von reaktiven zu einem pro-aktiven, vorbeugenden Handeln gegenüber ökosozialen Krisen durch den Fokus auf (gerechte) Reduktion von Naturverbrauch schlechthin, was temporäre Priorisierungen einschließt (z. B. Reduktion von THGE, um Klima-Katastrophen zu verhindern).

Kurz gesagt, es geht um ein Weniger an Naturverbrauch, das so gestaltet wird, dass es mit einer besseren Lebensqualität für Mehrheiten einhergeht, weil es nach dem Verursacherprinzip ökologisch gerecht, also deprivilegierend und damit Vertrauen stiftend, demokratisch gestaltet wird. Das kann und muss in Bezug auf einzelne Lebensbereiche, ihre Bedarfsfelder und die jeweils gängigen Praktiken konkretisiert werden – Mobilität, Wohnen, Ernährung, Arbeit (Fallbeispiele s. Kap. 3.). Das ökologisch oder sozial akzeptable Maß von Bedarfen bzw. ihr Korridor könnte dabei diskursiv und demokratisch, wissenschaftlich unterstützt von demokratisch legitimierten Akteuren und Gremien (u. a. von einem per Losentscheid sozial repräsentativ zusammengesetzten Rat, der von Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung gefordert wird) ermittelt, gedeckelt und ggfs. sozial gestaffelt fixiert werden.

2.3 Was sollte wie reduziert werden?

Ansatzpunkte, Kriterien und Kandidaten für Politiken einer söR (im o. g. engeren Sinne) wären z. B. Produkte, Praktiken, Triebkräfte, die

  • beim erreichten Grad von Naturbelastung ökologisch skandalös sind (z. B. weil sie luxuriöse Statussymbole einer imperialen Lebensweise repräsentieren) oder allein schon durch ihre Symbolik klimaschädlich sind (Privatflugzeuge, Inlandsflüge, SUV etc.).
  • ohne Verluste an Gemeinwohl oder Lebensqualität sozial verträglich eingeschränkt werden können (z. B. Sektoren von Werbung oder Finanzdienstleistungen, Verpackungen).
  • Ebenso die dafür maßgeblichen Triebkräfte, die etwa Innovationszyklen selbstzweckhaft beschleunigen (z. B. per Konkurrenz, Statuswettbewerb), weshalb auch (vorgeblich) klimaneutralisierte Systeme permanent innovieren müssen und deshalb selbst bei ständig steigender Ressourceneffizienz zu ökologischen Problemfällen werden.

Reduktionen könnten auf unterschiedliche Weise ausgelöst und realisiert werden, etwa durch:

  • Verbote oder Moratorien für Investitionen, die ökologisch besonders schädliche Pfadabhängigkeiten zementieren (z. B. neue Flugplätze, Autobahnen),
  • kontinuierlich sinkende Obergrenzen für ökologisch problematischer Naturverbräuche (z. B. Flächenversiegelung, Rohstoffentnahmen) oder Tempolimits
  • Wegfall ökologisch schädlicher Subventionen
  • Geschlechter- und bedarfsgerecht verringerte Erwerbsarbeitszeiten als solidarischer Puffer für die entfallenen Arbeitszeiten in den abgewickelten Bereichen und Freiraum für Eigenarbeit, für Muße oder öffentliches Engagement (s. Kap. 3.3).

Zu stärken wären hingegen reproduktive und regenerative Dienstleistungen, die auf Bildung, Gesundheit und Pflege (Care-Ökonomie), auf Klimaschutz und -anpassung, auf öffentlich öko-effizient verfügbare Basisgüter (Mobilität etc.) gerichtet sind. Gleiches gilt für Innovationen, welche die Nutzungsdauer oder -intensität von Produkten erheblich verbessern können (etwa reparaturfreundliche, gemeinschaftlich genutzte langlebige Güter und Infrastrukturen). Aus einer öffentlichen „Inventur“ sozial und ökologisch relevanter Güter, Infrastrukturen, Praktiken etc. könnte eine demokratisch legitimierte und priorisierte „Streich- oder Reduktionsliste“ entstehen, die im Maße des Verfehlens von Klimazielen als „Notbremse“ in Kraft tritt.

Es geht also nicht um moralische Verzichtsappelle, sondern um politische Regulationen, um Suffizienz- oder Postwachstumspolitiken, die reduktive Produktionen und Praktiken ermöglichen oder erleichtern, andere verhindern oder erschweren.

2.4 Konzeptuelle Verwandtschaften und Anknüpfungspunkte

SöR ist kein akademisch ersonnenes Konstrukt, sondern ein Element, Prinzip, eine mehr oder weniger explizite Konsequenz oder politisches Ziel diverser sozialökologisch sensibler und transformativer Konzepte, Strömungen, sozialer Bewegungen, etwa von

  • wachstumskritischen oder – skeptischen Ansätzen oder Initiativen (z. B. Postwachstum, Suffizienz, starke Nachhaltigkeit, Ökosozialismus)
  • Forderungen sozialer Bewegungen (Degrowth, Initiative Ökosozialismus, Klimagerechtigkeit, Gemeinwohlökonomie etc.)
  • Strömungen innerhalb von Parteien (Grüne, Linke, SPD)
  • programmatischen Zielen und Debatten in großen NGOs (z. B. BUND)
  • einer Fülle lokaler und regionaler, auf spezifische Themen eines „Besser und nachhaltiger durch weniger“ fokussierten Initiativen (z. B. Transition town), die auch oft für sö Ziele auf gesellschaftlicher Ebene aktiv sind.

Diese Nähe gilt auch für einen Teil von Konzepten, die unter dem Dach „söT“ agieren, etwa für den Ansatz einer „reduktiven Moderne“ bzw. eines „reduktiven Designs“ (Sommer und Welzer 2014), in dem Reduktion ein zentrales Prinzip von Transformation ist.

Darüber hinaus kann söR anknüpfen an

  • Mentalitäten, die offen sind für söTen, an wachstumskritischen Einstellungen, auch in Form traditionellen Wertvorstellungen (Sparsamkeit, Aversionen gegen Verschwendung, Bewahrung von Natur und heimatlichen Landschaftsbildern)
  • Zentralen Forderungen von Gewerkschaften, die - würden sie umgesetzt -Rahmenbedingungen für söR verbessern können, wie etwa die Kampagne für „Gute Arbeit“.

Vor allem jedoch haben neue Erfahrungen in Alltag und Politik, scheinbare Selbstverständlichkeiten irritiert und Dringlichkeiten für Wandel spürbarer werden lassen:

  • Flutkatastrophen und Hitzesommer, Corona und Energiekrise – damit verbunden eine
  • stärkere ökonomische Rolle des Staates, regulatorische Eingriffe in Marktmechanismen, persönliche Gewohnheiten und „Freiheiten“
  • Knappheiten, politische Kontingentierungen und Priorisierungen (Systemrelevanz) statt unbegrenzter Verfügbarkeiten auf „freien Märkten“;
  • Abhängigkeit von fragilen globalen Wertschöpfungsketten;
  • Politische Debatten um gedeckelte, sozial gestaffelte Preise für Grundgüter (z. B. für Wärme).

Eine Rückkehr zu früheren Normalitäten scheint ungewiss.

2.5 Sozialökologische Reduktion – Konvergenzpunkt öko-sozialer Bewegungen?

Einige der Anliegen, die hier mit söR verknüpft sind, werden seit Langem gefordert– bisher ohne sichtbaren Erfolg. Aber es gibt Gründe für die Annahme, dass sich das ändern könnte. Dazu gehören die genannten neuen Dringlichkeiten, Erfahrungen, Anknüpfungspunkte. Aber sie werden nicht per se transformativ wirken, sie können ebenso in Resignation und Anpassung münden. Parteien – auch links-grüne – werden kaum von sich aus für söR mobilisieren. Die Angst vor einem Verlust von Wählerstimmen durch massive Gegenpropaganda ist größer als die Furcht vor den nahenden Folgen der Klimakrise und eines schleichenden „Degrowth by Desaster“. Entscheidend wird sein, ob soziale Bewegungen und andere Teile der Zivilgesellschaft den sozial-kulturellen Boden für die Akzeptanz von söR aktiv vorbereiten und in Parteien, Staatsapparate, Gewerkschaften ausstrahlen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen söR als übergreifende Klammer für gemeinsame zivilgesellschaftliche Forderungen und Aktionen dafür Vorteile bietet. Ist der Irrsinn der konsumistischen Botschaften und des Ressourcenverbrauchs von Werbung, des städtischen Flächenverbrauchs durch SUVs etc. nicht auf direktem Wege plausibler breit kommunizierbar als über Umwege einer theoretisch fundierten Postwachstums- oder Suffizienz- Argumentation? Man/frau kann söR als deren Folgerung wichtig finden und politisch fordern oder persönlich praktizieren ohne eine der unterschiedlichen Theorien und Bewegungen überhaupt zu kennen, die unter diversen Labels (Degrowth, Gemeinwohlökonomie, Foundational Economy, frugaler Lebensstil etc.) agieren.

Wenn söR ein Konvergenzpunkt und politische Konsequenz vielfältiger Bewegungen und Initiativen ist, kann sie auch eine zusammenführende, bündelnde Basis gemeinsamer politischer Aktivitäten sein – dies, ohne die theoretisch-weltanschauliche, kulturelle Eigenart und Eigenständigkeit der jeweiligen kollektiven Protagonist*innen in Frage zu stellen.

2.6 „Gegenwinde“ und Vorbehalte

Wie auch immer konkretisiert, Strategien und praktische Aktionen pro söR haben mit heftiger Gegenwehr aus unterschiedlichen Richtungen zu rechnen und wären präventiv diskursiv zu flankieren. Zu erwarten sind Angriffe hauptsächlich aus neoliberaler und ökomodernistischer Sicht. Allein schon die Tatsache, dass nach einem solchen Ansatz viel mehr politisch, demokratisch, nach breiter öffentlicher Debatte zu entscheiden und zu gestalten wäre, somit der neoliberal postulierten höheren Weisheit von Markt und Wettbewerb entzogen wird, ist für Neoliberale eine Provokation, die als Bevormundung, Freiheitsbeschränkung, Wettbewerbsnachteil etc. denunziert wird. Umso energischer wird der Mainstream (incl. Teile der kritisch beschreibenden Klima- und Erdsystemwissenschaften)

  • ökomodernistisch beharren auf seinem Dreiklang von öko-technologischen Innovationen, deren Entwicklung und Diffusion (Hochlauf) durch marktförmige Steuerung (vor allem per CO2-Preis) und staatliche Förderung forciert wird und
  • vertrösten auf unausgereifte Technologien als riskante Retter in der Not, wenn die Klimaziele gerissen werden (CCS, E-Fuels etc. – s. o. Edenhofer et al. 2023). Alles andere gilt als tabu, gefährlich, unnötig, durch das Scheitern des Realsozialismus final widerlegt. Ignoriert werden dabei irreversible Schäden für Mensch und Natur, die jedes Zehntel Grad Erderwärmung und der in Kauf genommene temporäre „Overshoot“ verursachen.
  • abwiegeln mit dem Verweis auf den begrenzten negativen (nur 2 Prozent der globalen THGE) oder äußerst beschränkten potentiell positiven Einfluss Deutschlands auf das Weltklima (im Volksmund oft zu hören als: „D. kann das Klima/die Welt nicht retten.“). Dabei wird vieles unterschlagen, was im internationalen Vergleich und in Klimaverhandlungen gravierend ist, vor allem die historisch kumulierten Pro-Kopf-Emissionen (s. Abb.1 im Anhang); aber auch eine potentielle Vorreiterrolle für zukunftsfähige Produktions- und Wohlstandsmodelle.
  • sich berufen auf einseitig verabsolutierte, in dieser Lesart oft widerlegte (Tomasello 2020) anthropologische Eigenschaften des Menschen (z. B. „egoistischer Kurzfrist-Optimierer“), die progressive Verhaltensänderungen unter demokratischen Verhältnissen zur idealistischen Illusion machen.
  • radikale markt-, profit-, Ungleichheit begrenzende politische Eingriffe als Gefährdung von Wohlstand schlechthin verteufeln und Formen des zivilen Ungehorsams gegen Öko-Irrsinn als erpresserisch denunzieren.

Solche Argumente verfangen vermutlich in großen Teilen der Bevölkerung, zumal sie an Bequemlichkeiten und Verdrängungsmechanismen anknüpfen, zunehmend auch an Stimmungen, es sei klimapolitisch ohnehin nichts mehr zu retten. Ihnen mit Alternativen entgegenzutreten forciert einen sehr schwierigen Diskurs, der aber unumgänglich ist, um Entwicklungen in Richtung sozialökologischer Transformationen zu navigieren: Was bedeuten Wohlstand, Fortschritt, Freiheit für eine Gesellschaft, deren Bevölkerung einen maßgeblichen – allerdings sozial ungleichen – Anteil an der Klimakrise hat und als Teil der Weltgesellschaft sehr nahe an diversen Kipppunkten agiert?

Aber auch im linken Diskurs zu sozialökologischer Transformation oder Nachhaltigkeit werden Konzepte, in denen söR zentral ist (z. B. Postwachstum, Suffizienz), eher distanziert oder ablehnend rezipiert. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, wie etwa das auch im linken Spektrum verbreitete Hoffen auf eine klimapolitisch rechtzeitige absolute öko-technologische Entkopplung von Naturverbrauch und Wirtschaftswachstum und auf eine ökologisch neutrale Fortsetzbarkeit wachstumsbasierter Wirtschafts- und Lebensweisen dank einer 100-prozentigen EE-Basis und Kreislaufwirtschaft. Das ist aber im Lichte vieler Studien sehr zweifelhaft (s. u. a. Herrmann 2022) – nicht nur in Bezug auf die Klimastabilität. Überschätzt wird die ökologische Problemlösungspotenz von Technologien, während die ökologischen Fußabdrücke von – allein schon sprachlich immateriell anmutenden – Wissens- und Dienstleistungsökonomie, von Digitalisierung und „kulturalisiertem Konsum“ oder „innovationsbasierter Wertschöpfung“ unterbewertet werden. Eine Studie des UBA resümierte bereits 2018: „Eine explizite Betrachtung der Möglichkeit der Einhaltung mehrerer bzw. aller planetaren Grenzen bei gleichzeitigem Wachstum der Wirtschaftsleistung ist den Autor/innen dieser Studie nicht bekannt“ (UBA 2018, S. 39).

Auch Unterstellungen, Fehlwahrnehmungen und Missverständnisse gegenüber wachstumskritischen Argumenten sind dabei im Spiel[1]. Viele linke – oft linkskeynesiansich gefärbte – Einwände[2] von Ökonomen und Politikern laufen auf die These hinaus, eine Reduktion des Umfangs der Gesamtwirtschaft in Ländern wie D. sei nicht nötig und weder ökologisch noch sozial zielführend. Denn:

  • die von der EU- „Troika“ Griechenland aufgezwungene schocktherapeutische Schrumpfung im Namen von „Austerität“ im Gefolge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 ff. sei sozial katastrophal gewesen und habe ökologisch nichts gebracht, lediglich Privatisierung. – Dabei wird u. a. zweierlei verkannt: PW/D oder söR zielen auf sozialökologisch gestaltete Prozesse der Reduktion von Naturverbrauch, keineswegs auf eine chaotische BIP-Schrumpfung. Der Vergleich bemüht also eine falsche Analogie. Außerdem ist statistisch belegt, dass signifikante CO2-Reduktionen bisher nur in ökonomischen Krisenzeiten mit „Negativ-Wachstum“ einhergingen.
  • entscheidend sei, was wächst und was schrumpft, nicht das „Wieviel“. Als Kronzeuge dafür wird oft der Bereich personenbezogener Dienstleistungen angeführt.  Hier bringe höhere Produktion mehr Umweltschutz. So erhöhe ein staatlich finanziertes warmes Schulessen zwar das BIP über zusätzliche Staatsausgaben, sei aber ökologischer als individuelles Kochen. – Das mag zwar auf den Energiebedarf für das Essen zutreffen. Aber kann das für (personenbezogene) Dienstleistungen generalisiert werden? Wird eine zuvor zu Hause in Eigenarbeit mit vorhandener bescheidener Technik ausgeführte Tätigkeit ausgelagert und konstituiert oder erweitert eine marktvermittelte Dienstleistungssphäre, so mag das für die Einzelnen bequemer sein. Aber den Naturverbrauch wird dies tendenziell erhöhen, berücksichtigt man die gesamtwirtschaftlichen Effekte, etwa in Form neuer Infrastrukturen und eventuell zusätzlicher Einkommen und deren nicht unbedingt öko-bewusste Konsumtion.
  • zudem gilt das Argument, entscheidend sei was wächst, nicht das Wieviel, nur in einem bestimmten Rahmen. Für den wachsenden Bahnverkehr bei gleichzeitig schrumpfendem Pkw-Verkehr mag es zutreffen. Aber auch das ökologisch Gute oder relativ Bessere kann nicht unbegrenzt wachsen. Holz kann im Hausbau den CO2-intensiven Zement bzw. Beton ersetzen. Aber dies kann es eben nur in beschränktem Maße ohne die vielfältigen anderen „Leistungen“ des Ökosystems „Wald“ (als CO2-Senke, für Biodiversität, Erholung etc.) zu gefährden[3]. Die ökologischen Grenzen des Prinzips „Das Gute wachsen und das Schlechte schrumpfen lassen“ werden noch deutlicher, wird nicht nur ein ökologisches Problem oder ein kritischer Indikator betrachtet (UBA 2018).
  • in Europa reiche es aus, den Wohlstand gerechter zu verteilen und soziale Konflikte zu befrieden. Global, für den ärmeren Teil der Weltbevölkerung sei Wachstum nötig. – Aber wie soll das berechtigte nachholende Wohlstandswachstum im globalen Süden ohne Heißzeit oder andere Öko-Katastrophen gelingen, wenn das westliche Niveau des Naturverbrauchs nicht reduziert wird und so für wachsende Teile der Weltbevölkerung zur Orientierungsgröße wird? Ist es nicht so, dass jener noch beträchtliche Teil der Weltbevölkerung, dessen CO2-Fußabdruck noch nicht das erträgliche Limit überschritten hat und jene 90 Prozent der Weltbevölkerung die noch nie geflogen sind, unseren materiellen Standard überhaupt erst ermöglichen? Dies auch zu der oft geäußerten Vermutung, ob nicht doch vor allem das rasche Bevölkerungswachstum in einigen armen Ländern das Hauptproblem für Klima und Ökologie sei.
  • düstere Prognosen über Wohlstandsverluste und Verzicht wirken nicht mobilisierend; sie befördern nur eine demotivierende Weltuntergangsstimmung. Gebraucht werde ein neues Wohlstandsversprechen. – Dem ist prinzipiell zuzustimmen. Als Kritik oder Vorwurf geht dieser Hinweis allerdings am Gros von Postwachstumsvisionen vorbei, auch am hier vertretenen söR-Ansatz. Außerdem wäre zu klären, welche Inhalte das „Neue“ haben sollte, um sozial und ökologisch zukunftsfähig zu sein? Und wie ist dieses Neue zu begründen, ohne sich damit öffentlich auseinanderzusetzen, warum das jetzige Wohlstandsmodell imperial, parasitär und nicht fortsetzbar ist?

Dennoch gibt es auch linkskeynesianische Gemeinsamkeiten mit söR, wie etwa die Forderung nach stärkerer staatlicher Investitionslenkung und mehr Staatsausgaben für einen ökologisch sinnvollen Strukturwandel, der auch Einschränkungen einschließt.

 

[1]Ausführlicher dazu: Adler 2022, S. 417 ff.

[2] Im Folgenden beziehe ich mich hauptsächlich auf Fabio De Masi, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, Berliner Zeitung vom 11.02.2023 (De Masi 2023).

[3] In diesem Kontext ein Beispiel dafür, wie stark das Wachstumsnarrativ selbst von führenden Klimawissenschaftlern verinnerlicht ist (vgl. GEO 10/2022, S. 126 ff.). Schellnhuber agiert als Protagonist einer (CO2-) ökologisch begründeten Holzbau-Initiative. Dem widerspricht der Forstwissenschaftler Pierre Ibisch mit Verweis auf die möglichen schädlichen Effekte für den Wald und seine Öko-Funktionen. Keiner der beiden Kontrahenten – vor allem nicht Schellnhuber – verweist auf das Kernproblem: zu viel Neubau, zu große Wohnflächen, zu viel Flächenversiegelung etc. (s. auch Fuhrhop 2020). Die marktökonomisch vorgegebenen (wachsenden) Bedarfe sind auch hier die unantastbare Ausgangsgröße, nur Materialien und Technologien sind variabel. Ein Ergebnis dieser Holzbau-Initiative ist in Form ganzseitiger Anzeigen in Blättern mit kaufkräftig-ökosensiblen Leserschaft (z. B. Die ZEIT Nr. 9/2022, S. 26) zu besichtigen – „klimafreundliche“ Fertighäuser in Holzbauweise, selten unter 200 m2 Wohnfläche. Am Rande vermerkt: Ein sanierter Altbau verbraucht pro Quadratmeter weniger Energie als ein Passivhaus – diese Differenz vergrößert sich noch, wenn das Passivhaus auf der grünen Wiese errichtet wurde und längere Fahrten (Arbeit, Einkauf) erfordert (Fuhrhop 2020, S. 95 f.).

  • Preis: 4.00 €
  • Erscheinungsjahr: 2023