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Heft 126: SED-Hegemoniepolitik contra Blockdemokratie

Anmerkungen zur Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone 1948/49

Von: Manfred Bogisch

Heft 126: SED-Hegemoniepolitik contra Blockdemokratie

Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 126, 2011, 64 S., A5, 3 Euro plus Versand

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Inhalt

 

Ost-West-Differenzen eskalieren zum Kalten Krieg

 

Ein Verfassungsentwurf für eine neue deutsche Republik

 

„Neue Demokratie“ unterminiert Blockkonsens

 

Opposition, Widerstand, Spionage – Ermessensfrage?

 

Stalin warnt vor „teutonischem Eifer“

 

Anton Ackermann und der besondere deutsche Weg zum Sozialismus

 

Hermann Kastner und Karl Hamann verkünden liberaldemokratische Vorwärtsstrategie

LDPD – Partei für das ganze Volk

Die Doppelspitze Kastner / Hamann

 

Weichenstellungen 1949

 

Volkskongresswahlen – Generalprobe für Einheitsliste

3. Deutscher Volkskongress – Erwartungen und Vorschläge Kastners

LDPD (und CDU) versus SED

Liberaldemokraten fordern Wahlen

Ringen um neue Blockgrundsätze, Kontroversen und schließlich Unterordnung

 

 

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LESEPROBE

 

 

 

Hermann Kastner und Karl Hamann verkünden liberaldemokratische Vorwärtsstrategie

 

 

 

Am 26./27. Februar 1949 fand in Eisenach der 3. Parteitag der LDPD statt. Er war längst überfällig. Im Sommer 1947 hatte der 2. Parteitag stattgefunden, der folgende Parteitag hätte laut Satzung 1948 einberufen werden müssen. Er war umso dringender, als im April 1948 der Vorsitzende Wilhelm Külz plötzlich verstorben war. Seitdem führten seine vier Stellvertreter die Partei, ihr Sprecher war (bis Herbst 1948) der Geschäftsführende Vorsitzende Arthur Lieutenant. Der Parteitag, der, so die Planung, im Sommer 1948 stattfinden sollte, war mehrmals verschoben worden. Aus verschiedenen Gründen. Priorität hatte anfangs die Neuwahl des Vorsitzenden, die SMAD spielte dabei eine besondere Rolle. Sie favorisierte den thüringischen Landespolitiker Alphons Gaertner, der als loyaler Partner der Besatzungsmacht deren Respekt genoss. Gaertner indessen verließ – demonstrativ, so wurde gemutmaßt, die Ostzone. Danach empfahlen sich Kastner und Lieutenant. Kastner, 1948 stellvertretender Vorsitzender der DWK geworden, geriet zeitweilig (im Zusammenhang mit der Entscheidung der DWK für den Zweijahresplan) in der LDPD in den Verdacht, ein zu enges Verhältnis zur SED zu haben. Lieutenant wiederum spielte den Part des designierten Nachfolgers des Parteigründers Külz. Im Februar 1948 war Lieutenant als Begleiter von Külz Teilnehmer einer Unterredung mit Marschall Sokolowskij. Darauf stützte er sein offensives Vorgehen gegen den Ausbau der hegemonialen Politik der SED. Lieutenant prangerte die Sequesterentscheidungen zu Gunsten fortgesetzter Enteignungen von Unternehmungen als Sozialisierungspolitik an und geißelte den Zweijahresplan als Zonenpartikularismus. Lieutenant glaubte die SMAD billige stillschweigend sein Vorgehen, weil die SED Moskauer Interessen in Deutschland beschädige, was die auf Dauer nicht hinnehmen würde. Tatsächlich aber distanzierte sich die SMAD sukzessive von ihm. Sie sorgte dafür, dass der LDPD-Parteitag erst stattfand, nachdem Lieutenants beherrschender Einfluss schwand. Im September 1948 verzichtete er auf seine Kandidatur und zog sich im Oktober aus der Parteiführung zurück.

 

Der 3. Parteitag wurde von der Frage beherrscht, welche Position eine Partei wie die LDPD in der sich wandelnden gesellschaftlichen Wirklichkeit der sowjetischen Besatzungszone einzunehmen hatte, wenn sie sie aktiv weiter mitgestalten wollte. „Was wollen wir denn? Wo liegen unsere Grenzen und wo unsere Kräfte?“ (Protokoll des 3. Parteitages am 26. und 27.2.1949, DVa 250a, S. 64) fragte Karl Hamann, seit 1. November 1948 Geschäftsführender Parteivorsitzender und Kandidat für das Amt des Parteivorsitzenden. Er ließ keinen Zweifel: „Es ist gewiss schwer, in jenen Zeiten der Wirrnis, wo die Ereignisse sich überstürzen, Klarheit zu gewinnen und auch zu erhalten …, weil es den Bruch mit mancher liebgewordenen Überlieferung“ (ebd., S. 63) bedeutet. Für Hamann war der Block „das entscheidende Instrument“ zur Lösung der Lebensfragen des deutschen Volkes (ebd.), eine „Schicksalsgemeinschaft“, die notwendigerweise aus der jüngeren Vergangenheit und den Aufgaben, die nunmehr anstünden, erwachse. Damit hatte Hamann den Standpunkt verlassen, der Block sei eine Notgemeinschaft zur Überwindung der Kriegsfolgen und der Erfüllung der Potsdamer Beschlüsse. In diesem Zusammenhang erklärte Hamann, dass die Verantwortung für die Blockkrise 1948, was die damalige Haltung der LDPD anging, nicht bei ihren Mitgliedern, „beim sog. kleinen Mann“, wie Hamann sich ausdrückte, gelegen habe, sondern „mehr beim Kopf der Partei“ (ebd., S. 66), bei der Führung, an deren Spitze Lieutenant stand. Er habe weder politische Kenntnisse noch neue Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge vermittelt. „Die Unklarheit“, stellte Hamann fest, „die Bindung an die Überlieferung, die manchmal bis zu einer konservativen Beurteilung der Zusammenhänge geführt“ habe (ebd., S.60), beschwor Kollisionen mit der SED herauf.

 

Auf die Unterstellung der SED, die LDPD vertrete hauptsächlich Unternehmerinteressen, die bei Lichte betrachtet, reaktionär seien, antwortete Hamann mit der Veröffentlichung einer Analyse der sozialen Struktur der LDPD. Danach waren von den Mitgliedern

 

 

 

28,6% Angestellte in privaten und öffentlichen Diensten

 

14,1% Arbeiter

 

13,1% Hausfrauen

 

12,8% Handwerker und Gewerbetreibende

 

11,9% Bauern

 

10,7% Sonstige

 

2,0% Freiberufler

 

0,9% Unternehmer (ebd., S. 49/50).

 

 

 

Hamann konstatierte, dass die 0,9% Unternehmer nicht die Schlussfolgerung erlaubten, die Politik der LDPD „werde nur von Interessen dieser Mitglieder bestimmt“ (ebd.). Zur sozialen Struktur dieser Partei ließ Hamann erklären, die LDPD sei eine Partei aller Volksschichten, woraus sich „ganz bestimmte politische Notwendigkeiten“ ergäben (ebd.), nämlich die ausgewogene Wahrnehmung von Interessen auch der Handwerker, Gewerbetreibenden, der Bauern sowie der Arbeiter, aber eben nicht in erster Linie die der Privatwirtschaft. Unter diesem Sammelbegriff hatte die LDPD bisher die Interessen der privaten Industrie offensiv vertreten, 1948 einen antigewerkschaftlichen Kurs verfolgend versucht, Unternehmerorganisationen mit der ausdrücklichen Zielsetzung ins Leben zu rufen, sich als deren Widerpart zu profilieren. Hamann signalisierte, die neue Führung sei entschlossen, diese Politikphase hinter sich zu lassen. Dem war die Aufforderung immanent, die SED möge ihre Politik ebenfalls den neuen Tatsachen anpassen. Im Kontext hierzu gab Hamann Zahlen bekannt, die von wachsender Stärke der LDPD zeugten.

 

Im Juli 1947 – zum Zeitpunkt des 2. Parteitages – hatte die LDPD 173.200 Mitglieder, die in 3.400 Ortsgruppen organisiert waren. Im Februar 1949 waren es 197.090 Mitglieder in 3.400 Ortsgruppen. Ferner gab es im Mai 1948 rd. 800 Betriebsgruppen und im Januar 1949 1.267. Die Zahlen dokumentieren, dass die LDPD sowohl eine wachsende als auch flächendeckende Partei war, die den Druck der SED nicht nur widerstand, sondern weiter an Stärke zunahm.

 

Ausgehend von der kritischen Einschätzung eigener Fehler, der Sozialstruktur der Partei und der zahlenmäßigen Stärke, gestützt auf ihre Präsens in Verwaltungen, im Justizwesen, in Schulen und Hochschulen sowie auf die ehrenamtlichen Aktivitäten vieler Liberaldemokraten in Vereinen und Organisationen sowie als Abgeordnete entwickelte Hamann Konturen einer Strategie, die die SED aufforderte, ihre Attacken einzustellen und die LDPD als gleichberechtigte politische Kraft zu respektieren. Die Ausführungen Hamanns signalisierten zudem, die LDPD werde den Block und die Parlamente nutzen, um eigene Vorschläge und Vorstellungen zur Geltung zu bringen.

 

In diesem Kontext fragte Hermann Kastner: „Was heißt denn Demokratie? Nach dem schmählichen Ende der Weimarer Republik und den Erfahrungen der Nazizeit“. Und weiter: “Sind wir wirklich schon Demokraten?“ Kastner gab diese Antworten:

 

· Demokratie ist nicht, „die Dinge so abzuwickeln, dass 51% Recht haben und 49% sich an die Wand drücken lassen“, sondern Demokratie sei existent, wenn auch der einzelne Bürger „die Gemeinschaft und den Staat in seine Seele und in seine Verantwortung aufnimmt, dass er sie trägt als seine höchste Pflicht“ (a.a.O., S. 97).

 

· Demokratie sei, wenn „nicht die Macht entscheidet …, nicht der, der die Macht hat, etwas Besseres und Größeres ist, sogar eine eigene Ehre hat …, sondern das Recht und die Wahrhaftigkeit entscheiden …“ (ebd., S. 98).

 

Zielte Kastners erste Antwort auf die Quertreiber und Opponenten in der eigenen Partei, so richtete sich die zweite Philippika an die Adresse der SED. Kastner wies die These von ihrer entwicklungsbedingten, aus der Geschichte sich zwangsläufig ergebenden Dominanz zurück: „Keine Partei hat das Recht (sich) von Verpflichtungen zu dispensieren“, sondern grundsätzlich, „namentlich vor gesetzlichen Wahlterminen, zu Wahlen“ (ebd., S. 99) bereit zu sein. Wahrnehmung von Verantwortung im Interesse des ganzen Volkes nicht aber nur einer Klasse, gab Kastner zu verstehen, sei der Grundsatz auf dem die Politik der LDPD beruhe und zudem der Schlüssel für das Verständnis dessen, was ihre Mitglieder unter „neuem Liberalismus“ subsumierten. Es blieb Dieckmann vorbehalten den neuen Liberalismus als „demokratischen Liberalismus aus sozialer Verantwortung“ zu definieren.[1] Damit habe, so Dieckmann weiter, die LDPD den „endgültigen Trennungsstrich“ zwischen Liberalismus und „monopolkapitalistischen Wirtschaftssystem als solchem … und folgerichtig in seiner Wirkung auf das Gesamtgebiet der Politik“ vollzogen (ebd.). Die LDPD anerkennt, dass, wie Kastner sagte, „ein großer Teil, die weitgrößte Mehrheit des Volkes, sozialistisch denkt und sozialistische Handlungen fordert. Das ist ihr gutes Recht“ (Rede auf dem 3. Parteitag, a.a.O.), aber eben nicht, fügte Kastner hinzu, „die Gesamtheit des Volkes“. Kastner erinnerte die SED daran, dass „nicht aus der Theorie des Sozialismus heraus“ (ebd.) die Nazis und Kriegsverbrecher, die Förderer und Nutznießer Hitlers und seiner Partei entmachtet wurden, sondern um Deutschland auf neue demokratische Grundlagen zu stellen. „So ist unsere Staatswirtschaft hier entstanden.“ (ebd.) Sie sei Frucht des den Block tragenden antifaschistischen Grundkonsensus. Ohne die aktive Mitwirkung bürgerlicher Demokraten und ihrer Parteien hätte in dieser Form nicht entstehen können, was in der Ostzone entstanden war. Kastner gab zu verstehen, dass die neue Ordnung planmäßig ausgebaut und gefestigt werden müsse. Der Zweijahresplan sei eine notwendige Reaktion auf die restaurative Entwicklung in den Westzonen.

 

Es ist nicht auszuschließen, dass Kastner von den Einwänden der sowjetischen Führung gegen die Absicht die SED, den revolutionären Prozess in der Ostzone in Richtung Sozialismus zu beschleunigen, Kenntnis hatte. Kastner gehörte der deutschen Delegation an, die im November 1948, anlässlich des Jahrestages der Oktoberrevolution, in die UdSSR eingeladen war und Gelegenheit hatte, mit sowjetischen Politikern Gespräche zu führen, Kastner unter anderem mit Außenminister Molotow. Die SED-Führung jedenfalls war in den Verdacht geraten, ihre Blockpartner getäuscht zu haben und weiter zu täuschen, noch dazu in einer für die LDPD existenziellen Frage. Das wollten Kastner und Hamann ausgeräumt wissen.

 

Dieckmann warnte im März 1949 davor, „die `Versöhnung` von Kapitalismus und Sozialismus“ anstreben zu wollen, das sei „eine völlig utopische Vorstellung“.[2] Liberaldemokraten hingegen seien „keine Phantasten, sondern Realpolitiker … und glauben an die Macht des Geistes und der Idee“ (ebd.). Gebot liberaldemokratischer Politik sei, den Klassenkampf durch den „Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit“ (ebd.) zu überwinden. Dieckmann glaubte den Grundwiderspruch des Kapitalismus durch vernunftgebundene Politikkonzepte, die, wie er überzeugt war, nicht klassengebunden sein zu dürfen, langfristig aufheben zu können. Hauptsächlich durch die Schaffung auf Einsicht und gegenseitigem Respekt gegründeter „Betriebsgemeinschaften“ in Wirtschaftsunternehmen, deren ausgleichende Wirkung auf andere Bereiche der Gesellschaft unterdrückende, ausbeuterische und diskriminierende Verhältnisse und Verhaltensweisen sukzessive aufheben würden. Strassers Überlegungen ergänzten die Vision Dieckmanns. „Die Freiheit des Einzelnen (hat) da ihre Grenze, wo die Lebenssphäre des Mitmenschen beginnt" (Rede zum Parteiprogramm), der Mensch „ist ein Individuum und stets ein gesellschaftliches Wesen“ (ebd.).

 

Ausgehend von Überlegungen zur Erneuerung der Blockpolitik auf der Basis gegenseitigen Respekts skizzierte die LDPD Umrisse eines Gesellschaftsvertrages, der ein Angebot sein sollte zur Schaffung eines neuen, noch zu konstituierendes Deutschland. Im Kern ging es Liberaldemokraten dabei um einen 3. Weg: Weder Sozialismus wie in der Sowjetunion oder in osteuropäischen Staaten noch Kapitalismus wie in den USA und in Westeuropa. Neben der Erwartung, die SED werde die Anerkennung der gesellschaftlichen Veränderungen in der Ostzone durch die LDPD ihrerseits respektieren und entsprechend handeln, setzten Spitzenpolitiker der LDPD auf das nach wie vor erkennbare Grundinteresse Moskaus, die staatliche Teilung Deutschlands abzuwenden, die Sowjets also die SED zwingen würden, ihre „zonenpartikularistische Strategie“ zu revidieren. Moskauer Zurückhaltung, so die Hoffnung, würde die Westmächte bewegen, sich auf einen Kompromiss einzulassen, dem ihre westzonale Klientel folgen müsste.

 

Die Parteitagsrede Kastners widerspiegelte die Überzeugung, Moskau wolle aus Gründen der Staatsräson die Spaltung Deutschlands nicht. Aus ihrem Grundinteresse heraus sei die Sowjetführung nicht a priori und demzufolge „für immer“ gegen einen Kompromiss in der deutschen Frage mit den Westmächten. Den Überlegungen Kastners war der Appell immanent, die westdeutschen Parteien sollten sich in „letzter Stunde“ auf eine ostdeutsche Initiative einlassen. Hamann sprach die nationale Verantwortung aller Parteien direkt an. Dürfe man, fragte Hamann, „die Fiktion einer scheinbar liberalen Demokratie, die Belange des ganzen Volkes, dessen Teil wir sind, opfern?“ (LDPD-Informationen Nr. 3/4, 1949, S. 23) Er warf den westdeutschen Parteien vor, die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Siegermächten zu vertiefen. Diesen Überlegungen Hamanns wohnte der Gedanke inne, die Parteien seien auf prowestliche Positionen festgelegt, statt sich darum zu bemühen, e i n e deutsche Position so prononciert herauszuarbeiten, dass die Siegermächte sich ihr nicht entziehen könnten. Damit war die Vision wiederholt, die Külz 1947 vorgetragen hatte: Die deutschen Parteien als Ost-West-Brückenbauer, ohne herkömmliche Vermittler sein zu wollen. „Worum geht es denn?“, fragte Kastner, „zwei Großmächte stehen in der Welt, Amerika und Russland, beides Realitäten, und die Welt wird nicht zum Frieden kommen, bis die beiden sich gegenseitig anerkannt und eingesehen haben“, dass sie 'miteinander leben können' … Warum geht das nicht? Weil man sich immer noch in dem Glauben wiegt, als könne eines über das andere triumphieren, als könne Amerika doch noch Russland überwinden.“ (Parteitagsrede, a.a.O.) Angesichts der Berlin-Krise warnte Kastner vor einer Eskalation, die in einer Katastrophe enden könne. Es sei zu hören, “wir wollen einen Krieg nicht, aber wir fürchten, er geht von allein los“ (ebd.). Kastner appellierte an die verantwortlichen Staatsmänner im Osten wie im Westen: „Kommt nach Berlin! Dort seht ihr am allerdeutlichsten, wie die Dinge jetzt in der Welt stehen.“ (ebd.) Das Parteiprotokoll vermerkt: Beifall!

 

Für Kastner gab es keinen Zweifel, dass die Machtpolitik der USA mit ihrer antisowjetischen Spitze hauptverantwortlich war für die krisenhafte Situation, in die Deutschland immer tiefer geriet. Dabei ginge es Washington, so Kastner, nicht allein um die dauerhafte Beherrschung der westlichen Zonen per Marshallplan und Staatsgründungsvorbereitungen, sondern darum, dass „man praktisch die Grenzen so weit verschiebt wie man kann und Westdeutschland benutzt als Glacis für einen künftigen Krieg“, das sei „die entscheidende Frage“ (ebd.). Aus dieser Lagebeurteilung kann geschlussfolgert werden, dass Kastner vom defensiven Charakter der Deutschlandpolitik Moskaus überzeugt war. Seine Botschaft lautete: Entspannung durch Gespräche mit dem Ziel, Viermächte-Verhandlungen inhaltlich vorzubereiten, die LDPD-Politiker werden nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten auf der innerdeutschen Bühne dafür wirken. Kastners Bemerkungen lesen sich wie ein entferntes doch deutlich wahrnehmbares Echo auf die Empfehlungen, die Stalin im Dezember 1948 der SED-Führung mit auf den Weg gegeben hatte: Keine überstürzten Entscheidungen, keine Liquidierung der Privatwirtschaft in der Ostzone und keine Ausschaltung der beiden bürgerlich-demokratischen Parteien, Wahrnehmung jeder sich bietenden Chance, eine Tür zur einvernehmlichen Lösung der deutschen Frage zu öffnen.

 

 

 

[1] Dieckmann, Programm und Praxis, Der Morgen, 26.3.1949.

 

[2] Dieckmann, ebd.

 

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