Publikationen

Suchmaske
Suche schließen

Heft 113: Was geschah mit den Archiven und Bibliotheken von Parteien und Organisationen der DDR?

Von: Günter Benser

Heft 113: Was geschah mit den Archiven und Bibliotheken von Parteien und Organisationen der DDR?

Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 113, 2008, 62 S., A5, 3 Euro plus Versand

--------------------------------------------------------------------------------------------------------

Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 113, 2008, 62 S., A5, 4 Euro plus Versand

---------------------------------------------------------------------------------------------------------

Die Publikation ist die wesentlich erweiterte und durch einen Dokumentenanhang ergänzte Fassung eines Vortrages, der am 8. Mai in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibnitz-Sozietät gehalten wurde und im ursprünglichen Umfang zur Veröffentlichung in den Sitzungsberichten der Leibnitz-Sozietät der Wissenschaften vorgesehen ist.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------

INHALT

- Unersetzliche und unverzichtbare Überlieferungen
- Gefährdungen und Befürchtungen, Interessen und Pläne
- Das Projekt eines paritätischen Vereins von PDS und Friedrich-Ebert-Stiftung
- Der Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung
- Initiativen des Bundesarchivs und das Konzept einer unselbständigen Stiftung
- Die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv
- Resultate
- Anmerkungen
- Dokumentenanhang

Dokumente:

Appell des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung. Anfang 1990. Kulturgut droht Gefahr. ddr 113, S. 41-42.

Erste Satzung des heutigen Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung (Auszug). Errichtet am 6. März 1991. ddr 113, S. 57.

Information zum Stand der Verhandlungen zwischen Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung und Friedrich-Ebert-Stiftung, 12. September 1990, (Auszug). ddr 113, S. 52-54.

Internes Positionspapier des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung für die Verhandlungen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, 18. Juni 1990. ddr 113, S. 44-51.

Neufassung des § 2 des Bundesarchivgesetzes vom 13. März 1992 (Auszug). ddr 113, S. 60.

Parteien und Organisationen der DDR, deren Überlieferungen (bzw. zentrale Überlieferungen) in die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv eingebracht wurden. ddr 113, S. 61-62.

Rede des Abgeordneten der Volkskammer der DDR Klaus Höpcke (PDS), 13. September 1990, (Auszug). ddr 113, S. 55-56.

Vorlage für einen Ministerratsbeschluss zur Schaffung eines Zentralarchivs der DDR. Anfang März 1990. ddr 113, S. 43.

Zusicherungen des Ministeriums des Innern an die PDS. Schreiben des Ministerialdirektors Dr. Sieghardt von Köckritz an den Vorsitzenden der PDS Dr. Gregor Gysi, 12. Dezember 1991. ddr 113, S. 58-59.

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

LESEPROBE

Unersetzliche und unverzichtbare Überlieferungen

Mit dem Anschluss der wieder gebildeten ostdeutschen Länder an die Bundesrepublik Deutschland gingen nicht nur die politischen, sondern auch viele kulturelle und wissenschaftliche Institutionen und Einrichtungen der DDR einer ungewissen Zukunft entgegen. Es drohte auch so manchen Archiven und Bibliotheken der Untergang. Schien diese Gefahr für die großen staatlichen Archive und Bibliotheken nicht zu bestehen, so war das Schicksal der bei Parteien und Organisationen der DDR vorhandenen Sammlungen in hohem Grade ungewiss. Denn die Fortexistenz der bisherigen Träger solcher Archive und Bibliotheken stand in Frage, ja, erwies sich für die meisten Organisationen zunehmend als aussichtlos. Die zur Pflege der Archivfonds und Bibliotheksbestände notwendigen personellen, materiellen und finanziellen Voraussetzungen wurden diesen entzogen. Eigentumsrechte wurden angezweifelt. Leute, die von der Genesis, der Beschaffenheit und dem Wert der Sammlungen keine Ahnung hatten, maßten sich an, über sie zu befinden.

Die Auseinandersetzungen, die in diesem Zusammenhang geführt wurden, die Suche nach Lösungen und die schließlich definitiv getroffenen Entscheidungen stellen ein aufschlussreiches Stück jüngster deutscher Wissenschaftsgeschichte dar. Schließlich ging es um den Umgang mit unersetzlichen Quellen für historische, soziologische und politologische Studien. Voraussetzungen und Bedingungen künftiger empirischer Forschung auf dem Felde der neueren und neuesten Geschichte und der Gesellschaftstheorie standen zur Disposition. Mit diesen Akten und Büchern waren naturgemäß auch die in Verzeichnissen, Katalogen, Karteien, Findbüchern und Dateien niedergelegten Ergebnisse oft jahrzehntelanger Erschließungsarbeiten verbunden. Und nicht zuletzt ging es um die Menschen, die diese Überlieferung bisher gesammelt, verwahrt, gepflegt und erschlossen hatten. Ohne sie und ihre Arbeitsergebnisse wäre alles nur ein großer Berg ungebundenes oder gebundenes Papier gewesen. Um Lösungen wurde hart gerungen, denn Interessen stießen schroff aufeinander. Die Vernünftigen hatten keinen leichten Stand. Für so manchen Verantwortungsträger und für so manchen Meinungsmacher stellte Unwissenheit keinen Hinderungsgrund dar, sich massiv einzumischen und politische Grabenkämpfe auszutragen. Insofern ermöglicht uns diese Thematik zugleich einen vielsagenden Einblick in die politischen Umstände und Fehden der Endzeit der DDR und des Anschlusses der ostdeutschen Länder an die BRD. Vom Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit1 hier abgesehen, geriet vor allem das Zentrale Parteiarchiv der SED (ZPA) und die mit ihm verbundene Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (IML) in den Mittelpunkt des Streits und deshalb auch dieses Berichtes. Dafür gibt es drei einsehbare Gründe:

Erstens stellte das ZPA der SED hinsichtlich der schriftlichen Unterlagen der Parteien und Organisationen der DDR den umfangreich größten, inhaltlich bedeutendsten und politisch brisantesten Bestand dar.

Eine knappe Rückschau auf den Werdegang dieses Archivs und seiner Bestände ist deshalb geboten.2 Der Grundstock für ein zentrales Archiv der SED war im Februar 1953 mit der Übernahme der beim Zentralvorstand der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gesammelten Materialien über den antifaschistischen Widerstand gelegt worden. In der Folgezeit wuchs das Archiv3 vor allem durch Erwerbungen und Übernahmen. Im Zusammenhang mit der Edition der Werke von Marx und Engels und anderer Führer der Arbeiterbewegung wie mit der Herausgabe von Dokumenten zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung vergrößerten sich die Sammlungen – auch durch Erwerb von Kopien. 1962 gelangte der umfangreiche, mehrere Jahrzehnte dokumentierende, parteigeschichtlich außerordentlich wertvolle Nachlass Wilhelm Piecks in das Archiv. Am 8. April 1963 fasste das Sekretariat des ZK der SED den Beschluss über die „Schaffung des einheitlichen Parteiarchivwesens der SED“4 nach Moskauer Vorbild. Damit wurde das Archiv im Institut für Marxismus-Leninismus Endarchiv für das in der zentralen Parteiebene entstandene archivwürdige Schriftgut, ausgenommen die als geheim und vertraulich einge-stuften Unterlagen der Parteiführung. 1969/1970 übergab das Zentrale Parteiarchiv der KPdSU das in Moskau aufbewahrte Historische Archiv der KPD an das ZPA der SED. Damit war auch diese Lücke geschlossen und ein großer Teil der Überlieferung der deutschen Arbeiterbewegung im Zentralen Parteiarchiv der SED konzentriert. Ihrem Auftrag wurden Mitarbeiter des Archivs in den Monaten des Umbruchs und der Auflösung des zentralen SED-Parteiapparates 1989/1990 gerecht, indem sie sofort zur Stelle waren, um Aktenvernichtungen entgegenzuwirken und das noch in den Büros und Abteilungen des „Großen Hauses“ befindliche Schriftgut zu sichern.5

In diesem bald umkämpften Zentralen Parteiarchiv war also das Schriftgut der führenden Partei der DDR aufbewahrt, doch reichten die ca. 5000 laufende Meter (lfm) Regalfläche ergebenden archivalischen Zeugnisse bis zu den Anfängen der deutschen Arbeiterbewegung zurück. Dazu zählten der Marx-Engels-Bestand, Dokumente internationaler Arbeiterorganisationen (meist Kopien) wie des Bundes der Kommunisten, der I., II. und III. Internationale, organisationseigenes Schriftgut zur Geschichte der SPD und von proletarischen Massenorganisationen, das Historische Archiv der KPD, Nachlässe verstorbener und Vorlässe noch lebender Arbeiterfunktionäre, Sammlungen mit über 2500 Erinnerungen oder Erlebnisberichten über historische Ereignisse, Schriftgut zur Geschichte der Arbeiterbewegung der BRD sowie ein umfangreiches Bildarchiv wie auch Film- und Tondokumente, Sammlungen von Plakaten, Abzeichen und Geschenken an die Partei beziehungsweise deren führende Vertreter. Das in den SED-Gremien entstandene Schriftgut der engeren Parteiführung, vor allem die Protokolle der Sitzungen des Sekretariats des ZK der KPD (1945/1946), des Zentralsekretariats des Parteivorstandes der SED (1946–1949), des Politbüros und Sekretariats des Zentralkomitees der SED (1949–1989) sowie geheime und vertrauliche Vorgänge befanden sich im Internen Parteiarchiv der SED, das strenggefassten Festlegungen unterlag.6

Gemäß Beschluss des Sekretariats des ZK der SED vom 15. Oktober 1969 wurde mit der Sicherungsverfilmung der Archivbestände begonnen. Eine Filmkopie wurde auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem IML beim ZK der SED und dem IML beim ZK der KPdSU in Moskau eingelagert. So gelangten von 1972 bis 1988 acht Transporte mit 24.522 Mikrofilm-Negativkopien in die UdSSR zur Aufbewahrung. Eigentümer blieb die SED, nur mit ihrer Zustimmung durften die Filme benutzt werden.7

Außerdem hatte das Zentrale Parteiarchiv 1957 in beträchtlichem Maße Aktenbestände ehemaliger deutscher Reichsbehörden übernommen, die aus der UdSSR in die DDR zurückgeführt worden waren. Es handelte sich vor allem um Akten des Ministeriums des Innern, des Justizministeriums, des Reichssicherheitshauptamtes, des Reichsgerichts und des Volksgerichtshofes. Dieses Schriftgut hatte selbstverständlich einen inhaltlichen Bezug zur Arbeiterbewegung und enthielt auch beschlagnahmtes authentisches Material von Arbeiterorganisationen beziehungsweise Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung. Auf diese Materialien stützten sich die ersten Veröffentlichungen des IML über kommunistische und antifaschistische Widerstandsgruppen. Dennoch gehörte dieses Schriftgut, entsprechend der Provenienz, in den staatlichen Archivfonds. Vermutlich wollten in diesen Akten ausgewiesene Spitzenfunktionäre der SED derartige Materialien bewusst unter Kontrolle der Partei halten.8 Diese Bestände wurden von der Archivleitung, abgestimmt mit der neuen Direktion des aus dem IML hervorgegangenen Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung (IfGA), im Mai 1990 an das Staatsarchiv abgegeben.9

Eine besondere Verantwortung erwuchs dem Archiv und bald auch den neuen Verantwortungsträgern der Nachfolgepartei PDS daraus, dass schriftliche Zeugnisse von ausländischen kommunistischen- und Arbeiterparteien, die in die Illegalität gedrängt worden waren, im Archivbestand des Zentralen Parteiarchivs vorlagen. Schutzwürdige Belange der betroffenen Arbeiterfunktionäre und ihrer Parteien waren angemessen zu berücksichtigen.

Die Bibliothek, mit deren Aufbau bereits im Oktober 1948 begonnen worden war, umfasste 1989/1990 ca. 700.000 inventarisierte und ca. 100.000 unbearbeitete bibliographische Einheiten. Sie war im Laufe der Jahre zu einer der größten und wertvollsten sozialgeschichtlichen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum angewachsen. Besonders ihr umfangreicher Bestand an Periodika der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, die große Zahl interner Veröffentlichungen der Parteien und Organisationen, die vielen in Verbotszeiten – besonders während der Zeit des Faschismus – illegal herausgegebenen Schriften, der Fundus an Erstausgaben und andere Raritäten sowie übernommene private Bibliotheken von Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung einschließlich der darin enthaltenen Widmungen oder handschriftlichen Anmerkungen machten den hohen Wert dieser Bibliothek aus.

Archiv und Bibliothek bildeten in ihrer Gesamtheit und ihrer gegenseitigen Ergänzung einen unverzichtbaren Fundus für die Erforschung der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, für die Herausgabe der Marx-Engels-Gesamtausgabe und der damit verbundenen Marx-Engels-Forschung und nicht zuletzt für die bald ausufernden Untersuchungen zur DDR-Geschichte.

Schließlich gehörten zum Bereich von Archiv und Bibliothek auch eine modern ausgestattete Restaurierungswerkstatt, deren Leiterin mit einigen Patenten aufwarten konnte, eine Buchbinderei und eine leistungsfähige Mikrofilmstelle.

Zweitens sollte sich der Umgang mit dem Zentralen Parteiarchiv der SED und der Bibliothek im IML gewissermaßen als Modellfall für die Behandlung der ungedruckten und gedruckten Überlieferungen aller Parteien und Organisationen in der Endphase der DDR und nach dem Anschluss an die BRD erweisen. Äußere wie innere Ursachen führten dazu, dass die politischen, juristischen und wissenschaftsrelevanten Probleme, die beim Umgang mit dem Eigentum sogenannter staatsnaher Organisationen hochkamen, hier in konzentrierter und besonders krasser Form in Erscheinung traten.

So tauchten die unterschiedlichsten Vorstellungen und Optionen auf, wie Akten dieses Archivs und Bücher dieser Bibliothek zu sichern, zu erhalten und zugängig zu machen seien. Hier meldeten sich auch die meisten – überwiegend unseriösen – Begehrlichkeiten. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen, in denen unvereinbare Interessen aufeinanderstießen, die sich von Anfang 1990 bis Anfang 1993 hinzogen und auch später noch ihren Nachhall hatten. Schließlich sollte sich die für das Zentrale Parteiarchiv der SED (dann der PDS) und die Bibliothek des IML (dann des IfGA) gefundene Regelung als tragfähig für den Umgang mit der Überlieferung aller Parteien und Organisationen der DDR erweisen. Über Ausnahmen wird noch zu reden sein.

Drittens sei nicht unerwähnt, dass die Auseinandersetzungen um eben dieses Archiv und eben diese Bibliothek, die ausgeloteten, die verworfenen und die schließlich akzeptierten Lösungsversuche, jenes Feld sind, auf dem sich der Autor dieser Schrift am besten auskennt. Deshalb sei an dieser Stelle etwas zur eigenen Person und zur eigenen Rolle in den damaligen Entscheidungsprozessen angemerkt. Ich habe jenem Institut, dem besagtes Archiv und besagte Bibliothek zugeordnet waren, seit 1955 als Mitarbeiter, zuletzt als stellvertretender Leiter der Abteilung Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ab 1945, angehört. Was Archiv und Bibliothek betrifft, kannte ich deren Angelegenheiten vorwiegend aus der Perspektive eines Benutzers. Allerdings waren wir durch Instituts- und Parteiversammlungen immer über die generellen Probleme aller Arbeitsbereiche ziemlich gut informiert.

Als im Herbst 1989 in der DDR vieles ins Wanken geriet, die SED ihre Vormachtstellung in rasantem Tempo verlor und schließlich auch die Parteibasis gegen die verkrustete und sprachlose Führung aufbegehrte, erfasste diese Bewegung auch zunehmend Mitarbeiter unseres Instituts. Die damalige Institutsleitung stand dieser Entwicklung orientierungs- und hilflos gegenüber, so dass sich ein Arbeitsausschuss bildete, der bemüht war, eine Neuprofilierung verbunden mit offener Selbstkritik einzuleiten. Dieser Arbeitsausschuss, zu dessen Vorsitzenden ich berufen wurde, fand auch bald Kontakt zu dem zentralen Arbeitsausschuss, der den Außerordentlichen Parteitag der SED einberief. Das führte mich in jene Arbeitskommission, die das auf diesem Parteitag von Michael Schumann vorge-tragene Referat ausgearbeitet hat.10 Nachdem eine Vollversammlung des IML den bisherigen Leitern – ausgenommen den stellvertretenden Direktor Heinrich Gemkow – das Vertrauen entzogen hatte, wurde ich am 21. Dezember 1989 zum Institutsdirektor gewählt. Ich sah mich plötzlich in einer Funktion, die ich nie angestrebt hatte, der ich mich aber unter den gegebenen Verhältnissen meinte stellen zu müssen. Am 4. Januar 1990 bildete sich aus dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED das in allen inhaltlichen Fragen selbständig waltende Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (IfGA), das bis zum 31. März 1992 – rückblickend gesehen, erstaunlich lange – bestand. Damit war mir natürlich auch eine unausweichliche Verantwortung für das Schicksal von Archiv und Bibliothek zugefallen.11

Es zeigte sich bald, dass nicht nur für das SED-Archiv und die IML-Bibliothek Handlungsbedarf bestand, sondern auch hinsichtlich der Archive und Bibliotheken der anderen Parteien des Demokratischen Blocks, also der CDU, der LDPD, der NDPD und der DBD, sowie der meisten Organisationen der DDR. Über umfangreiche und wertvolle Überlieferungen verfügte zum Beispiel der FDGB mit seinen Industriegewerkschaften im Umfange von etwa 2000 lfm Akten und der ehemals größten Gewerkschaftsbibliothek Europas, die FDJ mit über 1000 lfm, die Nationale Front mit ca. 500 lfm, der Kulturbund mit über 400 lfm Archivalien.

Über die Auseinandersetzungen um Archive und Bibliotheken und die schließlich gefundenen Lösungen existiert mittlerweile eine ansehnliche Literatur, bestehend einerseits aus den zeitgenössischen Stellungnahmen und andererseits aus später verfassten Rückblicken – vor allem aus der Sicht des Bundesarchivs und des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Leider fehlt eine vergleichbare Rückschau der ebenfalls stark involvierten Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Als erste und am ausführlichsten hat sich Inge Pardon, die im Juli 1990 die Nachfolge des langjährigen Archivleiters Heinz Voßke antrat, dieser Thematik gestellt.12 Ihre Darstellung – mit einem informativen Dokumentenanhang –, die unmittelbar aus der Situation heraus geschrieben ist und zunächst noch in bevorstehende Entscheidungen eingreifen wollte, soll hier nicht ersetzt werden. Auch muss die von Inge Pardon gebotene Ausführlichkeit und Detailtreue hier nicht nachvollzogen oder wiederholt werden. Über ihren Bericht kann nur insofern hinausgegangen werden, als nun die Rückschau mit dem Abstand von anderthalb Jahrzehnten möglich ist, wir auch über die Erwägungen und Strategien des Bundesarchivs besser Bescheid wissen und sich anhand von Schriftstücken und eigenen Erinnerungen noch einige Lücken – besonders zur Frühphase des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung – schließen lassen. Vor allem aber kennen wir jetzt den definitiven Ausgang der Auseinandersetzungen und können wir jetzt die real eingetretenen Wirkungen einschätzen, und zwar nicht nur hinsichtlich des SED-Archivs und der IML-Bibliothek, sondern der Überlieferungen der Parteien und Organisationen der DDR insgesamt.

In Sozialismus, Heft 3, 2010, S. 64-65, erschien eine Rezension der Broschüre von Jürgen Hofmann.

Bärbel Kontny hat ebenfalls eine Rezension geschrieben in Arbeit - Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien (Heft 2009/III).

Zudem gibt es folgende Rezension von Annelies Laschitza in der Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 79, September 2009, S. 181-183:

DDR-Archive zur Geschichte der Arbeiterbewegung Annelies Laschitza

Günter Benser, Was geschah mit den Archiven und Bibliotheken von Parteien und Organisationen der DDR? Forscher- und Diskussionskreis DDR-Geschichte. hefte zur ddr-geschichte 113. Berlin 2008

Diese Publikation ist die wesentlich erweiterte und durch einen Dokumentenanhang ergänzte Fassung eines Vortrages, der am 8. Mai 2008 in der Klasse Sozial- und Geisteswissenschaften der Leibniz-Sozietät gehalten wurde und in ursprünglichem Umfang zur Veröffentlichung in den Sitzungsberichten der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften vorgesehen ist. Mich berührt sie insofern auch sehr persönlich, da ich dem am 6. März 1991 gegründeten „Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ seit Beginn angehöre. Außerdem erinnert sie an das unvergessliche Rosa-Luxemburg-Symposium am 5./6. März 1991 in Berlin, das unter der Fragestellung „Was weiter?“ für die Zusammenarbeit der in der Internationalen Rosa Luxemburg Gessellschaft unter Prof. Dr. Narihiko Ito, Tokio, vereinigten Forscher neue Impulse gab.[1] Der Inhalt des Heftes 113 geht selbstverständlich weit darüber hinaus. Günter Benser, langjähriger engagierter und im Frühjahr 2009 erneut wiedergewählter Vorsitzender des Förderkreises, vermittelt konkreten Aufschluss über den Werdegang des Zentralen Parteiarchivs (ZPA) und der mit ihm verbundenen Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED in Berlin. Das von diesen Einrichtungen gesammelte und sicher aufbewahrte Archiv- und Kulturgut ist ein unersetzbarer Fundus für die Erforschung der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, für die Herausgabe der Marx-Engels-Gesamtausgabe und der damit verbundenen Marx-Engels-Forschung und nicht zuletzt für Untersuchungen zur Geschichte der DDR. Die Darstellung gewährt Einblick in die heftigen Auseinandersetzungen um das künftige Schicksal von Archiv und Bibliothek der SED sowie der Überlieferungen aller Parteien und Organisationen der DDR, die von Anfang 1990 bis Anfang 1993 stattgefunden haben. Der Autor schildert detailliert Gefährdungen und Befürchtungen sowie die unterschiedlichen Interessen und Pläne. So berichtet er u. a. von der Idee eines „Nationalarchivs“ bzw. eines „Zentralarchivs der DDR“, über das Projekt eines paritätischen gemeinnützigen Vereins von PDS und Friedrich-Ebert-Stiftung und über die Gedanken zu einer unselbständigen Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde. Als sich über ein Jahr keine Lösung abzuzeichnen begann, ergriffen die Leiterin des ZPA Inge Pardon, der Leiter der Bibliothek Jürgen Stroech und der Direktor des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung Günter Benser am 6. März 1991 die Initiative, gemeinsam mit Teilnehmern des Rosa-Luxemburg-Symposiums den „Förderkreis Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ zu bilden. Zum Vorsitzenden wurde Dr. Henryk Skrzypczak, Begründer und Herausgeber der in Westberlin erscheinenden „Internationalen Wissenschaftlichen Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (IWK) gewählt. Die unter seinem engagierten Einsatz vielseitigen Bemühungen des Förderkreises werden verdeutlicht. Schließlich galt es gegen widerwärtige Anfeindungen und Bedrohungen eine Lösung zu erstreiten, die die Archiv- und Bibliotheksbestände im ursprünglichen Zustand bewahren und frei zugänglich machen sollten. Der Präsident des Bundesarchivs, Prof. Dr. Friedrich Kahlenberg, und der zum Direktor der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR auserkorene Dr. Konrad Reiser halfen problem- und verantwortungsbewußt mit, dem Projekt SAPMO im Bundesarchiv zum Erfolg zu verhelfen. Zur Zeit verfügt die Stiftung über etwa 11.336 lfm Archivschriftgut und über 1.700.000 bibliographische Einheiten, was 34.216 lfm entspricht. Das Bildarchiv umfasst ca 1.725.000 Bilder. Außerdem gehören zu den Beständen 30.200 Plakate und 5.800 Tonträger. „Die SAPMO-BArch beschäftigt knapp 60 Mitarbeiter. 2007 wurden im Lesesaal des Archivs knapp 4.800 und im Lesesaal der Bibliothek 4.806 Benutzer gezählt. Damit liegt die Stiftung weit über dem Bundesarchivdurchschnitt.“ (S. 32) Im Anhang befinden sich neun Dokumente über den Kampf um die Rettung der Archiv- und Bibliotheksbestände von 1990 bis 1992 und ein Verzeichnis der Parteien und Organisationen der DDR, deren Überlieferungen in die Stiftung eingebracht worden sind.[2] Da die CDU (Ost) und die DBD in der CDU, die LDPD und NDPD in der FDP aufgingen, wurden deren Archive und Bibliotheken Eigentum von CDU und FDP und folglich nicht Bestandteil der SAPMO-BArch.

Aus eigenen Erfahrungen kann ich nur unterstreichen, was Günter Benser am Ende seiner Bilanz feststellt: „Gleichwohl – gemessen an den Turbulenzen und Gefährdungen, denen Archive und Bibliotheken in den Jahren der Transformation ausgesetzt waren, gemessen an den Anfeindungen und Angriffen, die jene Leute über sich ergehen lassen mussten, die sich für die Bewahrung und den Fortbestand dieses Kulturgutes verantwortlich fühlten und einsetzten, aber auch gemessen an der zu DDR-Zeiten geübten Geheimniskrämerei, der bürokratischen Willkür und obrigkeitlichen Gängelei darf die Gründung und Entwicklung der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv mit Fug und Recht als eine akzeptable, tragfähige und zukunftsträchtige Lösung bezeichnet werden.“ (S. 34) Die in der Publikation nacherlebbaren Auseinandersetzungen um dieses Resultat, die von konsequent, geduldig und einfallsreich kämpfenden Akteuren wie Gregor Gysi, Klaus Höpcke, Inge Pardon, Jürgen Stroech, Günter Benser, Henryk Skrzypczak und vielen weiteren mutigen Mitstreitern geführt wurden, sind „ein aufschlussreiches Stück jüngster deutscher Wissenschaftsgeschichte. Schließlich ging es um den Umgang mit unersetzlichen Quellen für historische, soziologische und politische Studien.“ (S. 5)

Annelies Laschitza

[1] Siehe Luxemburg-Bild im Meinungsstreit. Materialien des Rosa-Luxemburg-Symposiums in Berlin am 5./6. März 1991. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (BzG), 33. Jg. 1991, Heft 4.

[2] Siehe auch Inge Pardon, Das Zentrale Parteiarchiv unter veränderten politischen Rahmenbedingungen (1990-1992). Zur Sicherung und Bewahrung seiner Bestände. Abschlussarbeit im Postgradualen Studium Archivwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1992. - Älter ist nicht alt genug. Festschrift zum 80.Geburtstag von Henryk Skrzypczak. Hrsg. v. Günter Benser im Auftrage des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin 2007.

 

  • Preis: 4.00 €