Montag, 13. Dezember 2010, 16:00 bis 20:00, Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin

Berlin: Werkstatt der Einheit?

Workshop mit Hans Modrow, Peter-Rudolf Zotl, Klaus Steinitz, Uwe Doering

Mit dieser Veranstaltung soll – bewusst im zeitlichen Abstand zur öffentlichen und offiziellen Würdigung der vor zwanzig Jahren vollzogenen staatlichen Vereinigung von DDR und BRD – ein kritisch-bilanzierendes Nachdenken über den Weg und die Langzeitergebnisse der deutsch-deutschen Vereinigung in der einst geteilten deutschen Hauptstadt Berlin befördert werden.

Dabei wollen wir uns erstens mit der nach wie vor gängigen Behauptung – wenn es auch bei den Veranstaltungen zum zwanzigsten Jahrestag durchaus nachdenklichere Töne als sonst üblich gab – auseinandersetzen, dass es zu dem vor zwanzig Jahren beschrittenen Weg keine Alternative gegeben hätte. Es soll gezeigt werden, dass die Übertragung des Beitritts- bzw. Anschlussmodells auf den Vereinigungsprozess in Berlin – entgegen den im Einigungsvertrag für Berlin eingeräumten Alternativmöglichkeiten – Resultat bewusster politischer Entscheidung von CDU, SPD, Grünen/AL und FDP war. Bezug nehmend auf den ehemaligen Viermächte-Status bot der Einigungsvertrag nämlich in Artikel 1 (2) entweder die Möglichkeit eines Beitritts Ostberlins zu Westberlin oder die Chance eines gleichberechtigten Zusammenwachsens zu einem neuen, einheitlichen Berlin. CDU, SPD, Grüne/AL und Republikaner im Westberliner Abgeordnetenhaus sowie SPD, CDU, FDP, DSU in der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung entschieden sich für das Beitrittsmodell, die Grünen und die Bürgerbewegungen enthielten sich mit Rücksicht auf die Westberliner AL der Stimme, und nur die PDS stimmte dagegen, weil sie für das gleichberechtigte Zusammenwachsen zu einem neuen, einheitlichen Berlin plädierte.

Zweitens soll daran erinnert werden, dass in der Folge dieses Beitritts- und Anschlussverfahrens die neunziger Jahre damit vertan wurden, die alte Westberliner Entwicklungspolitik – vom Beharren auf endogenen Wachstumsfaktoren über die entwicklungspolitische Orientierung auf einmalige Events bis hin zum krampfhaften Festhalten an der bisherigen internationalen Westausrichtung Westberlins – um jeden Preis fortzusetzen, obwohl allein schon durch den abrupten Wegfall der speziellen Berlinfinanzierung die Grundlagen dafür vollständig entzogen worden waren. Ohne zu spekulieren, wollen wir daran erinnern, welche Alternativen dazu bestanden hätten – sowohl die Art und Weise der gesamtstädtischen Vereinigung als auch einen stadtpolitischen Kurswechsel betreffend. Sie wurden vor allem von der PDS entwickelt und regelmäßig leichtfertig – weil man sich für die „Fortführung Westberlins in den Dimensionen der Gesamtstadt“ entschieden hatte – abgetan. So wurde Berlin zur „Werkstatt der deutschen Einheit“, jedoch – entgegen den ursprünglich positiv verstandenen Intentionen dieses Slogans – vor allem im Auslassen der wirklichen Chancen, die ein gleichberechtigtes Zusammenführen der Stadthälften, verbunden mit einem entwicklungspolitischen Strategiewechsel, zu einem neuen Ganzen in sich geborgen hätte. Der Weg in die Sackgasse hätte nicht kommen müssen.

Drittens soll speziell nachgewiesen werden, dass der Weg, „Westberlin in den neuen Strukturen einer einheitlichen Stadt fortzuführen“, auch dem ehemaligen Westberlin keinen Nutzen brachte. Westberlin hing 1989 / 1990 völlig am Tropf des Bundes; nahezu jede zweite Mark des Landeshaushaltes kam aus Bonn. Das Konzept „der verlängerten Werkbank“ war in Wirklichkeit nichts anderes als eine Kaschierung des gewaltigen Deindustrialisierungsprozesses, der Westberlin aufgrund seiner politischen Lage längst erfasst hatte. Als besonders neuralgischer Punkt an der Nahtstelle der Systeme ging der Antikommunismus quer durch fast das gesamte politische und gesellschaftliche Lager und wirkte quasi wie ein „einigendes Band“ über viele politische Grenzen hinweg. Zugleich aber war in Westberlin aus gegebenen Gründen die „Inselmentalität“ besonders stark ausgeprägt, und so konnten sich dadurch innerstädtische Fronten stark verhärten, politische Sichtweisen erheblich provinzialisieren sowie Filz und Korruption gedeihen. Wenn auch politische Liberalität, Einwanderungspolitik, die Versorgung mit Kinderbetreuungs-, Jugend- und sozialen Begegnungseinrichtungen weitaus besser entwickelt waren als im übrigen Gebiet der Bundesrepublik, gab es auch in Westberlin einen erheblichen Reformstau auf nahezu allen Politikfeldern, weswegen der Bedarf und die Erwartung, im Rahmen der Vereinigung erhebliche Innovationsimpulse aus dem Osten zu erfahren, groß waren. So wirkte sich der dann gewählte Weg, Westberlin schlicht zu erweitern und Ostberlin in das stark innovationsbedürftige System Westberlins einfach einzugliedern, allgemein negativ auf die Stadt und speziell verhängnisvoll für Ost und West aus.

Leitung: Prof. Dr. Klaus Steinitz
Vorsitzender des Vereins "Helle Panke" e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, 1990 Mitglied der DDR-Volkskammer und anschließend des Deutschen Bundestages, zu Beginn der neunziger Jahre Präsidiumsmitglied im Parteivorstand der PDS

Vorträge:

Die weltpolitische Rolle von West- und Ost-Berlin und die Spezifik des Vereinigungsprozesses in der deutschen Hauptstadt
Referent: Dr. Hans Modrow
1989 / 1990 Mitglied der Volkskammer und 1990/94 des Deutschen Bundestages und November 1989 bis März 1990 Ministerpräsident der DDR, heute Vorsitzender des Ältestenrates der Partei DIE LINKE

Hoffnungen und Realitäten: Was Westberlin gebraucht hätte und was Westberlin bekommen hat Referent: Uwe Doering
Bis Ende 1989 Mitglied im Büro des Parteivorstandes der SEW, bis 1996 Betriebsrats- bzw. Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei der AEG, heute Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin

„Werkstatt der Einheit“: Realitäten und Alternativen
Referent: Dr. sc. Peter-Rudolf Zotl
1990 Vorsitzender der PDS-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung von Berlin-Ost und bis Mitte der 90er Jahre stellvertretender Vorsitzender bzw. Vorsitzender der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, heute Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin

Diskussion

Abschlussbemerkung: Prof. Dr. Klaus Steinitz

Kosten: 3 Euro (inkl. Imbiss)

Wo?

Helle Panke
Kopenhagener Str. 9
10437 Berlin