Freitag, 3. Mai 2013, 16:30 bis Sonntag, 5. Mai 2013, 13:00, RLS, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin

Rechtskritik bei Marx und Paschukanis

1. Marx-Frühjahrsschule

In unserer modernen Gesellschaft scheint ein Leben ohne Recht nicht denkbar zu sein. Alle Lebensbereiche von der Mietwohnung bis zur Ausländerbehörde sind juristisch konstituiert. Die Frage, was Recht eigentlich ist – sowohl dem Inhalt als auch der Form nach –, und welche gesellschaftlichen Ursachen es hat, wird in täglichen Auseinandersetzungen und sozialen Kämpfen oft gar nicht mehr gestellt.
Woher kommt die Vorstellung, alle Menschen seien frei und gleich? Was steckt hinter der formellen Gleichheit? Wieso nehmen bestimmte gesellschaftliche Beziehungen Rechtsform an? Wie kommt es zur Herausbildung des bürgerlichen Rechts und des modernen Staates?
Die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie erschöpft sich keineswegs in einer Wirtschaftstheorie, sondern versteht sich vielmehr als Versuch einer allgemeinen Analyse der bürgerlichen Gesellschaft. So finden sich bei Marx Ansätze einer Rechts- und Staatsphilosophie, an die der sowjetische Rechtssoziologe Eugen Paschukanis (1891-1937) anknüpft.
Er entwickelt den durch Rechtsverhältnisse vermittelten gesellschaftlichen Zusammenhang aus dem Warentausch heraus. Danach sind kapitalistische Tauschbeziehungen unlösbar mit Rechtsverhältnissen verbunden: Warenbesitzer treten sich als freie und gleiche Rechtssubjekte gegenüber, denn die „Waren können nicht selbst zu Markte gehen und sich nicht selbst austauschen“ (Marx). Das Buch „Allgemeine Rechtslehre und Marxismus“ von Eugen Paschukanis, das in der theoretisch fruchtbaren Phase der 1920er Jahre entstand, erscheint uns zur Analyse der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem Recht auch heute noch relevant. Die Marx-Frühjahrsschule lädt Euch zur Lektüre und Diskussion des Werkes ein.

Der Wochenendworkshop wird von drei Podiumsdiskussionen eingerahmt. Wir nehmen uns den ganzen Samstag Zeit, in Kleingruppen, begleitet von zwei TeamerInnen, große Auszüge des Buches „Allgemeine Rechtslehre und Marxismus“ zu diskutieren. Dabei orientieren wir uns an dem bewährten Format der Marx-Herbstschule und bieten Arbeitsgruppen für Teilnehmende mit verschiedenen Vorkenntnissen an. Das Wochenendseminar richtet sich gleichermaßen an Fortgeschrittene und Einsteiger.

Freitag 3.5.2013
16.30 Uhr: Anmeldung

17.00-19.00 Uhr: Begrüßung und Einführung: Recht bei Marx und Paschukanis – Eine Einführung (mit Dr. Andreas Harms, Prof. Dr. Andreas Arndt und Prof. Dr. Andrea Maihofer)
Am Freitagabend findet ein einführendes Podium statt, auf dem über Leben, Werk und Rezeptionsgeschichte von Paschukanis und sein methodisches Vorgehen gesprochen wird. Mit einer generellen Einführung zu Marx und Recht werden außerdem die Fragen im Marx’schen Werk thematisiert, an die Paschukanis anknüpft. Wer war Eugen Paschukanis und wo positionierte er sich in den Debatten seiner Zeit? Wie geht Paschukanis methodisch vor? Inwiefern lassen sich schon bei Marx Ansätze einer Rechtskritik finden?

19.00-19.30 Uhr: Pause

19.30-21.00: Uhr: Workshopphase I

Samstag 4.5.2013

9.30 bis 13.00 Uhr: Workshopphase II

13.00 bis 14.00 Uhr: Mittagspause – Catering in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung

14.00 bis 17.30 Uhr: Workshopphase III

20:00 Uhr: Abendveranstaltung (Humboldt Universität Berlin, Unter den Linden 6, Senatssaal): Woher kommt der Staat? Zur Herausbildung und Form von Recht, Staat und Ware mit Dr. Ingo Elbe und Prof. Dr. Heide Gerstenberger
Am Abend setzen wir uns im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion in der Humboldt-Universität mit den Zusammenhängen von Waren-, Rechts- und Staatsform sowie der historischen Herausbildung des bürgerlichen Staates auseinander. Ist die Gleichheit aller Menschen ein oberflächlicher Schein oder die Geschäftsgrundlage kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse? Was sind die historischen Entstehungsbedingungen moderner Staatlichkeit?

Sonntag 5.5.2013

10.00 bis 12.00 Uhr Kritik der Kritik - Kontroversen um Paschukanis (mit Prof. Dr. Andreas Fisahn, Dr. Ozren Pupovac und Simon Birnbaum)

Zum Abschluss der Tagung am Sonntag laden wir zu einer Debatte ein, die sich gängigen Kritikpunkten an Paschukanis Thesen widmet. Sind sie Ausdruck einer formalistischen Zirkulationsfixiertheit oder Grundlage einer fundierten materialistischen Rechtstheorie? Verkennt Paschukanis das emanzipatorische Potential des Rechts in sozialen Auseinandersetzungen? Was sind die blinden Flecken seiner Theorie? Welche ideologiekritischen Anschlüsse eröffnet sein Ansatz?

12.00:13:00 Uhr: Abschlussrunde

Eine Veranstaltung in Kooperation mit AG Rechtskritik, AKJ-Berlin, der Rosa Luxemburg Stiftung, TOP B3rlin und dem ...umsGanze!-Bündnis

Im Vorfeld erschien:

What is law? Baby don't hurt me. In Berlin startet eine Konferenz zur Aktualität des marxistischen Rechtstheoretikers Eugen Paschukanis Ankündigung auf nd-online am 3. Mai 2013 Anne-Kathrin Krug

Mit dem Recht kommen wir in allen möglichen Lebenssituationen in Berührung: Wir stehen bei einer Demo und werden in Gewahrsam genommen, kommen von einem Festival und werden von der Autobahn gewunken und auf Drogenbesitz durchsucht, oder wir bekommen von einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde einen neuen Zettel in den Pass geklebt, der uns erlaubt, hier zu bleiben. In jeder dieser Situationen wird Recht praktiziert - und durchgesetzt.
Aber was ist das eigentlich - Recht? Ist es die gewaltsame Durchsetzung von Herrschaft? Ist es eine fixe Idee von JuristInnen mit Spezialwissen, die nur mit anderer Leute Problemen Geld verdienen wollen? Oder ist es etwas Fortschrittliches, denn wir leben ja nicht mehr im Wilden Westen, sondern es herrscht »Recht und Ordnung«. Die Frage nach dem, was Recht ist und wie es die kapitalistische Gesellschaft durchzieht, haben zuerst Eugen Paschukanis und andere Rechtskritiker - von Peter Stucka bis Franz Neumann - in den ersten Jahren nach der russischen Revolution aufgeworfen. Vor allem Paschukanis ist dabei bis heute von besonderem Interesse.
Der 1891 geborene Jurist beteiligte sich an den Protesten gegen den Ersten Weltkrieg, schloss sich nach der Oktoberrevolution den Bolschewiki an und gründete zusammen mit Stucka 1922 die Sektion für Allgemeine Theorie des Staates und des Rechts innerhalb der sowjetischen Akademie der Gesellschaftswissenschaften.
1924 veröffentlichte er »Allgemeine Rechtslehre und Marxismus« - bereits 1929 erschien
eine deutsche Übersetzung. Das Buch war als eine Selbstverständigung angelegt und sollte der Aufschlag für eine dringend notwendige Debatte sein. Schließlich behaupteten die KommunistInnen, dass nach der Revolution der Staat »absterbe«. Aber wie sollte das konkret aussehen? Und was war der Unterschied zwischen Sowjetmacht und bürgerlichem Staat?
Das, was Marx mit dem Kapital vorhatte, nämlich die Kritik der politischen Ökonomie, wollte Paschukanis für das Recht vorlegen: Das Buch formulierte den Anspruch, die gesamte Rechtswissenschaft hinsichtlich ihrer Annahmen und Begriffe zu kritisieren - deshalb auch der Untertitel »Kritik der juristischen Grundbegriffe«.
In Anlehnung an Marx analysiert Paschukanis das Rechtsverhältnis als ein mit dem Warentausch und der Wertform einhergehendes Verhältnis und stellt fest: »Ähnlich wie
der Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft die Form einer ungeheuren Anhäufung von Waren annimmt, stellt sich die ganze Gesellschaft als unendliche Kette von Rechtsverhältnissen dar.« Die Warenhüter werden zu Rechtssubjekten, und »der
Warenfetischismus wird durch den Rechtsfetischismus ergänzt.«
Paschukanis untersucht, warum die Rechtsform als überhistorische und scheinbar
natürliche Form menschlicher Gesellschaft erscheint. Dabei geht es ihm nicht nur darum,
den Klassencharakter der Rechtsform zu zeigen, sondern auch, »warum dieser Inhalt eine solche Form annimmt«. Erstmals wirft er auch die staatstheoretische Frage nach der Form der politischen Herrschaft auf: »Warum wird der Apparat des staatlichen Zwanges nicht als privater Apparat der herrschenden Klasse geschaffen, warum spaltet er sich von der letzteren ab und nimmt die Form eines unpersönlichen, von der Gesellschaft losgelösten Apparats der öffentlichen Macht an?« Seine Problematisierung des Rechts war zugleich eine Kritik am proletarischen Recht der Sowjetunion. Denn Paschukanis beobachtete genau, wie die alten »formellen juristischen Begriffe« und »die Methode des juristischen Denkens mit ihren spezifischen Verfahrungsweisen« »ihr Dasein« in den sowjetischen »Gesetzesbüchern und den dazugehörigen entsprechenden Kommentaren« fortsetzten. Ein solcher Ansatz konnte in der marxistischen Tradition nicht ohne Kritik bleiben. Karl Korsch, selbst Jurist, KPD-Mitglied und Kritiker der Stalinisierung, warf Paschukanis Ökonomismus vor. Andere kritisierten, dass er wie Marx das Zivilrecht (im Gegensatz zum öffentlichen Recht) ins Zentrum rückt, oder auf die Zirkulationssphäre, den Tausch zwischen Freien und Gleichen, fixiert sei, womit er die materielle Ungleichheit in der Produktionssphäre außer Acht lasse - sprich: das Klassenverhältnis.
Auch wurde die Frage aufgeworfen, warum nach Paschukanis Recht nur im Kapitalismus existiert, und - daran anschließend - wie dann eine sozialistische oder eine Übergangsgesellschaft organisiert sein könnte. Paschukanis selbst sprach in diesem Zusammenhang nicht von Recht, sondern von »rechtlichen Regelungen«, wobei bis heute diskutiert wird, was der Unterschied zwischen beidem sein soll. Paschukanis radikale Fragestellung stellte den Stalinismus vor ein massives Problem - schließlich verschwanden in der Sowjetunion weder der Staat noch das Recht, geschweige denn die politische Repression. 1937, ein Jahr nachdem die bis in die 1970er Jahre gültige »Stalinverfassung« in Kraft trat, begann dann auch eine Verleumdungskampagne gegen Paschukanis.
Ihm wurde vorgeworfen, er verfälsche die leninistische Staats- und Rechtstheorie, seine
Vorstellungen seien »antimarxistisch«. Obwohl er sich von seinem »Frühwerk« distanzierte, und wie viele Verfolgte der damaligen Zeit Selbstbezichtigungen und Distanzierungen veröffentlichte, wurde er verhaftet und mutmaßlich vom sowjetischen
Geheimdienst NKWD ohne Prozess ermordet. Selbst nach seiner Rehabilitierung 1956 war von ihm in der Sowjetunion kaum die Rede. Erst im Zuge von 1968 wurde er wieder verstärkt diskutiert. Aktuell ist Paschukanis bis heute.

Anne-Kathrin Krug ist Rechtsanwältin und Mitglied im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV). Ihr Text erschien zuerst hier in der Zeitschrift »analyse & kritik«. Informationen zur Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung gibt es hier.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/820526.what-is-law-baby-don-t-hurtme.html

Kosten: 10,00 Euro (für alle drei Tage, inkl. Catering und Abendveranstaltung)

Wo?

RLS
Franz-Mehring-Platz 1
10243 Berlin