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Heft 138: Die Wirtschaftskrise und die veränderten Beziehungen zwischen Globalisierung, Europäischer Union, Nationalstaaten und Regionen

Workshop zu neuen Herausforderungen an linke Wirtschaftspolitik

Von: Judith Dellheim, Heiko Kosel, Wolfgang Krumbein, Klaus Steinitz, Andreas Wehr

Heft 138: Die Wirtschaftskrise und die veränderten Beziehungen zwischen Globalisierung, Europäischer Union, Nationalstaaten und Regionen

Reihe "Pankower Vorträge", Heft 138, 2009, 56 S., A5

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung Richard Detje/Klaus Steinitz

Wolfgang KrumbeinDer Nationalstaat – der große Gewinner der Krise

Klaus SteinitzDie Globalisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Konsequenzen für alternative Wirtschaftspolitik

Judith Dellheim Die Linke auf Suche nach der Spezifik und den Spielräumen linker Wirtschaftspolitik auf den verschiedenen Ebenen

Andreas WehrWährung mit eingebauter Sozialdemontage. Der Euro und die Krise

Heiko Kosel Regionalpolitische Aspekte, Probleme und Widersprüche in den Beziehungen zwischen europäischer und regionaler Wirtschaftspolitik

Judith Dellheim Europäische Union als Herausforderung für sozialistische Wirtschaftspolitik


LESEPROBE

Vorbemerkung


"Neue Herausforderungen an linke Wirtschaftspolitik" stellt die erste große Weltwirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht. Immerhin handelt es sich um die erste wirklich globale Krise im Zeitalter der Globalisierung – und Elmar Altvater fügt hinzu: die erste globale Krise "in Echtzeit". In atemberaubendem Tempo hat sie alle Regionen des Weltmarktes erfasst, auch wenn sie nicht überall die gleichen Folgen gezeitigt hat. Eine Krise, die nicht nur in ökonomischen Kategorien im engeren Sinne zu denken ist, sondern eng mit einer globalen ökologischen Krise verflochten ist. Zudem eine Krise der bisherigen Regulation des Weltmarktes mit den USA als ökonomischem und politischem Machtzentrum (dem Dollar-Wall-Street-Regime, wie es Peter Gowan bezeichnet hat).

Das bedeutet nicht weniger, als dass die nächste Etappe der Globalisierung – zumindest in wichtigen Teilen – neu geschrieben wird. Mit dem Aufstieg der so genannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) und der Ablösung des Kartells der kapitalistischen Metropolen in der G7 durch die G20 hat das bereits begonnen. Wohin die Reise geht, ist derzeit schwer zu sagen: zu einer Globalisierung, die nicht mehr von einem Zentrum aus beherrscht wird, zu einer stärkeren Regionalisierung des Weltmarktes zwischen den Kraftzentren Asien, Amerika und Europa oder zu mehr Protektionismus und damit zu einer stärkeren Fragmentierung? Deutlich wird auf jeder dieser Reisen, dass "Globalisierung" künftig noch mehr als in der Vergangenheit als ein Prozess beschrieben werden muss, der sich gleichzeitig auf mehreren Ebenen vollzieht.

Aber Globalisierung ist kein singulärer Prozess. Nicht nur, weil er mit Regionalisierung einher geht, wie die Entwicklung der Europäischen Union, aber auch die Wirtschaftszusammenschlüsse in Lateinamerika als Gegengewicht zur US-Hegemonie zeigen. Mehr noch: In der gegenwärtigen Krise hat sich gezeigt, dass es falsch war, den Nationalstaat zu einem historischen Auslaufmodell zu erklären. Supranationale Governance hat sich – gerade auch in der Europäischen Union – als viel zu schwach erwiesen, einen Zusammenbruch der Finanzmärkte verhindern und den Absturz der so genannten Realökonomie abbremsen zu können. Die vielfältigen nationalen Finanzmarktsicherungs- und Konjunkturstützungsprogramme belegen, dass nicht nur auf dem Gebiet der Sozial-, sondern auch der Wirtschaftspolitik das Ende nationaler Steuerung noch keineswegs angesagt ist. Nur der "moderne" Steuerstaat verfügt mit seinen Zugriffsrechten auf den gesellschaftlichen Reichtum über die Kapazität, dem Primat der Politik auf dem kapitalistischen Markt Geltung zu verschaffen. Doch wie weit reicht diese Kapazität? Stößt der in der Krise geforderte Interventionsstaat bereits wieder an Schranken, die sich nicht nur aus dem Hochschnellen der Staatsverschuldung ergeben, sondern mehr noch aus einem "Aufstand" der vermögenden Mittelklassen, die die Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben verlangen? Auch hier zeigt sich, dass Politik auf mehreren Ebenen interventionsmächtig sein muss und ein Mindestmaß an Koordination zwischen den Ebenen erfordert, um ein "weiter so" in und nach der Krise zu verhindern.

Kurzum: Politik findet in einem Mehrebenensystem statt. Dabei werden die wechselseitigen Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten enger und vielfältiger. Entsprechend müssen sich auch die Akteure linker Wirtschaftspolitik den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, institutionellen Eigenarten, Inhalten und Schwerpunkten im Mehrebenensystem stellen. Werden die Beziehungsgeflechte nicht hinreichend beachtet, droht die Linke sich in Politikverflechtungsfallen zu verrennen.

Derartige Fallen lauern allerorten. Zu Recht steht im Zentrum alternativer Wirtschaftspolitik die Wieder- oder Neuerlangung gesamtwirtschaftlicher Steuerungsfähigkeit. Doch wo beginnt und wo endet die nationalstaatliche Interventionsebene? Will die Linke eine Politik betreiben, die das Alltagsleben der Menschen in einem sozial fortschrittlichen und ökologisch zukunftsfähigen Sinn verändert, kann sie nicht nur auf der nationalen Bühne agieren, sondern muss vor Ort handlungsfähig sein. Gleichzeitig macht die Wirtschafts- und Finanzkrise die großen Defizite und Fehlentwicklungen in der EU und in den internationalen Institutionen deutlich. Auch das Projekt der Europäischen Integration – zu dem ein Europäisches Sozialmodell als einer der Kerninstitutionen gehören müsste – verlangt eine Erneuerung.

Die Linke steht vor drei großen Aufgaben: Erstens muss sie die neuen Herausforderungen, die sich vor allem aus der Umwelt- und Klimakrise, der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise und der zunehmenden Nord-Süd-Polarisierung ergeben, programmatisch-strategisch verarbeiten. Zweitens gilt es die veränderten Bedingungen linker Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu berücksichtigen – die Interdependenzen und Widersprüche globaler, europäischer, nationalstaatlicher und regionaler Wirtschaftspolitik – und daraus die notwendigen Konsequenzen für Veränderungen im Interesse der Menschen abzuleiten. Drittens ist es erforderlich, im Sinne einer emanzipatorischen Zukunftssicherung für Veränderungen der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu streiten und die Akteure, die dies erreichen können, zu stärken, und ihr gemeinsames Agieren zu fördern.

In dem vorliegenden Heft sind Beiträge enthalten, die auf dem Workshop der „Hellen Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin und WISSENTransfer zum Thema "Neue Herausforderungen an linke Wirtschaftspolitik" am 12. September 2009 gehalten wurden. Zusätzlich wurde eine Ausarbeitung von Judith Dellheim zum Thema „Die Europäische Union als Herausforderung für sozialistische Wirtschaftspolitik“ aufgenommen.

In den Beiträgen werden die skizzierten Probleme aus verschiedener Sicht, teilweise kontrovers, erörtert. Im Vordergrund stehen zwei Komplexe. Einmal die oft sehr widersprüchlichen Tendenzen der gegenwärtigen Globalisierung und deren Folgen für die Spielräume nationalstaatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik. Zum anderen die Defizite und Schwächen der Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU angesichts der gegenwärtigen Krise und der Herausforderungen einer sozial und ökologisch zukunftsfähigen Entwicklung.

Richard Detje/Klaus Steinitz

  • Preis: 4.00 €
  • Erscheinungsjahr: 2009