Politik im Gespräch
Die politischen Auseinandersetzungen um den Paragraphen §218 (das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen) sind in den letzten Jahren verschärft und erweitert worden um eine öffentlich harsch geführte Diskussion um den Paragraphen §219a. Dieser stellt de facto die öffentliche Information und Aufklärung über die ärztlichen Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs und deren gesundheitliche Risikoabschätzung unter Strafe. Der von der Rechten und aus der Ecke konservativer und klerikaler „LebensschützerInnen“ und AbtreibungsgegnerInnen verwendete Begriff des „Werbeparagraphen“ ist dem offiziellen Wortlaut des seit 1933 existierenden Paragraphen entnommen. Der Paragraph widmet sich dem Vergehen der „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ und wird diffamierend auf Internetseiten wie babycaust. de oder abtreiber. com verwendet.
Der durch Strafanzeigen, Drohkulissen und Hetzkampagnen geführte Kulturkampf richtet sich insbesondere gegen Ärzt*innen und Arztpraxen, die den körperlichen Eingriff im gesetzlichen Rahmen vornehmen, aber auch gegen Journalist*innen und Institutionen wie pro familia, die aufklären wollen und für eine Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper eintreten. Im Zuge der öffentlichen Diffamierungen kommt es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, wie sie zurzeit prominent die Gießener Ärztin Kristina Hänel und die Hamburger Journalistin Kersten Artus mit einem neurechten Mathematikstudenten aus Kleve austragen. Nach der Anzeige gegen Hänel und Artus wegen des angeblichen Verstoßes gegen §219a gingen beide Frauen an die Öffentlichkeit und wehrten sich gegen die erhobenen Vorwürfe mit der Öffentlichmachung des Namens des Klägers. Dieser wiederum sah sich nun in seinen Persönlichkeitsrechten eingeschränkt und klagte abermals gegen beide und gegen die Bekanntmachung seines Namens. Der Gerichtsprozess gegen Kersten Artus ist angesetzt für den 15. Februar 2019 in Hamburg.
Die Tabuisierung der ärztlichen Behandlung eines Schwangerschaftsabbruchs hat aber auch gesellschaftliche Folgen. So findet der Eingriff nicht mehr im Lehrplan des Medizinstudiums statt. Damit schwinden die medizinische Erfahrung und das Wissen um die verhältnismäßig einfache Operation.
Über die Konsequenzen wollen wir ebenso sprechen wie über den Rechtsruck in der Diskussion um die Paragraphen §218 und §219a, den aggressiv geführten Kulturkampf der sog. LebensschützerInnen und ihre tradierten Familienbilder. Die Diskussion um die körperliche Selbstbestimmung lenkt aber auch den Fokus auf einen innerfeministischen Streit und die ethischen Konflikte und Normierungsdiskurse der Pränataldiagnostik. Auch diese wollen wir an dem Abend in den Blick nehmen.
Podiumsdiskussion mit: Kirsten Achtelik (Sozialwissenschaftlerin, freie Journalistin und Autorin, im Verbrecher-Verlag erschien 2015 „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“[1] und 2018 gemeinsam mit Eike Sanders und Ulli Jentsch herausgegeben „Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der »Lebensschutz«-Bewegung“[2]), Kersten Artus (Journalistin[3] und Vorsitzende von pro familia Hamburg[4]), Alicia Baier (Medical Students for Choice[5]), Eike Sanders (freie Autorin und Mitarbeiterin des apabiz e.V.[6])
Moderation: Dr. des. Birgit Ziener
Eine Veranstaltung von Helle Panke e.V. in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung[7].