Donnerstag, 8. September 2022, 19:00 bis 21:00, Helle Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin

Synthetischer Kolonialismus - Zur Verbindung von Autarkieprogramm und Raumpolitik im NS

Philosophische Gespräche

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Mit dem nationalsozialistischen Vierjahresplan beginnt 1936 eines der größten Infrastrukturprojekte des "Dritten Reichs". Ziel dieses Plans war die Herstellung der "Kriegsfähigkeit" der deutschen Wirtschaft bis zum Jahr 1940. Aus dieser Perspektive erscheint das Programm als Etappe auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg und damit als Vorstufe einer neuen totalen Eskalation der deutschen Großraumpolitik nach dem Verlust der sogenannten "Schutzgebiete", der nach dem Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag festgeschrieben wurde. Aus einem anderen Blickwinkel lässt es sich zugleich als direkte Fortsetzung kolonialer Phantasmen interpretieren. Ein Schlüssel hierzu sind die synthetischen Stoffe, die eine zentrale Rolle beim Vorhaben einer möglichst vollständigen Rohstoffautarkie des "Dritten Reichs" gespielt haben. Zu diesen Stoffen zählen künstliche Farben, Kunstfasern, künstliche Treibstoffe und Gummis, Pharmaprodukte, Foto- und Filmutensilien, Düngemittel, künstliche Werkstoffe und weitere Industrieprodukte, bei denen es darum geht, nicht-natürliche Stoffe als Ersatz oder Verbesserung natürlicher Materialien zum Einsatz zu bringen. Zur Popularisierung dieser neuen Substanzen wird in der NS-Zeit ein großer propagandistischer Aufwand betrieben, und auch Romane widmen sich ihnen, so zum Beispiel "Anilin" von Karl Aloys Schenzinger über die Geschichte der Farbstoffsynthese, der nach Hitlers "Mein Kampf" der zweitgrößte Bestseller zur Zeit des Nationalsozialismus war und auch nach 1945 in Westdeutschland viel gelesen wurde. Im Vortrag soll es um das Geschichtsmodell gehen, das Texten wie diesen und anderen Dokumenten, etwa Werbematerial der IG Farben, dem seinerzeit größten Chemiekonzern der Welt, zugrunde liegt und mit dem sich eine bisher wenig erforschte Etappe der deutschen Kolonialgeschichte besser verstehen lässt.

Dr. Alexander Wagner wurde 1987 in Hoyerswerda geboren, hat Germanistik und Philosophie studiert und über die Kontinuität des deutschen Kolonialismus im Nationalsozialismus promoviert. Er interessiert sich für die Überschneidungsbereiche zwischen Kunst und Forschung und arbeitet an Fragen von kultureller Selbstvergewisserung und Ideologiekritik. Seine Schwerpunkte sind Mediengeschichte, Raumtheorie, das Verhältnis von (Populär-)Kultur und Wissenschaft und (wissenschaftlicher) Modellbau.
 

Kosten: 2,00 Euro

Wo?

Helle Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin
Kopenhagener Str. 9
10437 Berlin