Donnerstag, 11. Juni 2009, 18:00, Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin

Die Pionierorganisation "Ernst Thälmann" in der DDR

Historische und theoretische Reminiszenzen

Vortragsreihe zur "ddr-geschichte"

Das Emblem der Pionierorganisation

Die Referenten haben gemeinsam mit anderen begonnen, die Probleme der Entwicklung einer Kinderorganisation in der DDR mit Sach- und Insiderkenntnis aufzuarbeiten. Für eine umfassendere Darlegung der Geschichte der Pionierorganisation in der DDR müssten noch gründlichere Untersuchungen erfolgen.

Den Referenten haben ihre Forschungsergebnisse in der Schriftenreihe der Hellen Panke gemeinsam mit Prof. Bolz im Heft 116 niedergelegt. Vorrangig geht es um historische (Bolz), um theoretisch-pädagogische (Lund) sowie jugendpolitische Aspekte (Poßner) der Entwicklung der Pionierorganisation. Sie haben versucht, Erkenntnisse aus der geschichtlichen Entwicklung der Kinderorganisation der DDR und Schlussfolgerungen abzuleiten.

Ein Artikel zu Veranstaltung und Heft von Hannes Gerd:

A.Bolz/J.Lund/W.Poßner: Die Pionierorganisation “Ernst Thälmann“ in der DDR. Hannes Gerd

Mit Sach- und Insiderkenntnis äußern sich die Autoren zu ausgewählten Problemen der Kinderorganisation in der DDR, der Pionierorganisation „Ernst Thälmann, so die Ankündigung im Heft “Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann in der DDR“.

Dabei geht es um historische Aspekte ihrer Entwicklung, die Alexander Bolz darstellt, um theoretisch-pädagogische Einsichten von Jörgpeter Lund und um die Stellung der Pionierorganisation am Ende der 80er Jahr, die Winfried Poßner darstellt.

Alexander Bolz geht zunächst auf die Zeit von 1945 bis 1947 ein, in der sich auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone spontan Kindergruppen bildeten, „Kinderland“ bezeichnet. Das erfolgte parallel zur Bildung Antifaschistischer Jugendausschüsse, manchmal auch in Verbindung mit ihnen. Auf Antrag des Zentralen Antifa-Ausschusses erfolgte im Februar 1946die Zulassung der Freien Deutschen Jugend. „Mit der Gründung der FDJ am 7. März 1946“, so Bolz, “ entstand in Deutschland erstmals die Möglichkeit, eine demokratische und einheitliche Massenorganisation für alle Schichten der Jugend zu schaffen und die Spaltung der deutschen Jugendbewegung auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone zu beenden.“

Im Mai 1947 erfolgte dann die Gründung der Kindervereinigung der FDJ mit dem Ziel eine einheitliche antifaschistisch-demokratische Kinderorganisation aufzubauen und die Kinder politisch zu organisieren. Die beschlossenen „Grundsätze und Ziele“ steckten den Rahmen der Tätigkeit der Kinderorganisation ab. Bolz schätzt ein, dass die Kinderorganisation eine vielfältige Arbeit leistete und den nur betreuenden Charakter der Kinderlandbewegung zu überwinden versuchte. 1948 erfasste die neue Organisation etwa 10% der Schulkinder.

Es wäre interessant, an dieser Stelle etwas über die politischen Auseinandersetzungen zur damaligen Zeit der Gründung einer einheitlichen antifaschistisch-demokratischen Kinderorganisation zu erfahren.

Bolz stellt weiter Probleme der Entwicklung des Pionierverbandes zur sozialistischen Massenorganisation der Kinder der DDR von 1948- 1957 dar.

Am 13.12.1948 erfolgte die Gründung der Pionierorganisation auf der Grundlage von Beschlüssen der FDJ. Der Verband nannte sich fortan “Junge Pioniere – Kindervereinigung der FDJ“. Das blaue Halstuch sollte Symbol der Zugehörigkeit der Kinder zum Pionierverband sein und Ausdruck der Verbundenheit mit der blauen Fahne der FDJ.

Der Pioniergruß lautete: „Seid bereit - Immer bereit“. Fridel Lewin war erste gewählte Vorsitzende der Pionierorganisation, ab 1949 dann übernahm Margot Feist diese Funktion.

Der Eintritt in die Organisation war freiwillig. In relativ kurzer Zeit vollzog sich die Entwicklung zu einer Massenorganisation. 1953 zählte die Organisation 1,5 Millionen Mitglieder. Die Kinder wurden angehalten gut zu lernen, die Eltern zu achten sowie nach Frieden, Demokratie und Völkerfreundschaft zu streben und die Pioniergesetze einzuhalten.

Angesichts des ständigen Vorwurfs der ideologischen Indoktrination, wäre für den Leser interessant, was denn Erziehung zu Frieden, Demokratie und Völkerfreundschaft inhaltlich bedeutet hat.

Im Folgenden geht Bolz auf Entwicklungsprobleme der Kinderorganisation ein. Damals ging es um zwei Probleme: 1. die Organisation eines frohen, interessanten und abwechslungsreichen Pionierlebens, was auf immer höherer Stufe neu zu bewältigen war und 2. ging es um das Wie einer selbständigen Gestaltung des Pionierlebens durch die Kinder selbst An Beispielen wird gezeigt, wie die Pionierorganisation Einfluss auf das Leben des Kinder nahm, ihren Beitrag leistete zur Unterstützung der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule, um alle SchülerInnen zum Klassenziel und zu guten Schulabschlüssen zu führen. Kameradschaftliche Hilfe, Lernpatenschaften, Zusammenwirken von stärkeren und schwächeren SchülerInnen, Wettbewerbe, Verbindung von Lernen mit produktiver Arbeit. Eine wichtige Arbeit leisteten auch außerschulische Einrichtungen für Junge Naturforscher, Junge Künstler oder Junge Touristen.

Pionierzeitschriften leisteten dabei einen wesentlichen Beitrag.

Die Frage nach dem Wie der Gestaltung des Pionierlebens ist mit der ersteren eng verbunden. Die Pioniergruppe bot allen Kindern Möglichkeiten, ihren Interessen nachzugehen, ihre Beziehungen untereinander selbst zu regeln sowie selbst zu bestimmen, was sie tun und wie sie leben wollen. Man wünschte sich, hier mehr über das angesprochene Prinzip der Selbsttätigkeit zu erfahren.

Und welcher Beitrag durch die vielfältigen Angebote zur Persönlichkeitsentwicklung, zur Herausbildung von Fähigkeiten und Begabungen geleistet wurde.

Neben der Pioniergruppe spielte das Pionieraktiv eine bestimmte Rolle bei der Entwicklung der Pionierfreundschaft an einer Schule.

Bolz geht weiter auf einige Inhaltliche Bereiche der Pionierarbeit ein. Es werden einige Bereiche vorgestellt, die auf die Kinder eine große Anziehungskraft ausübten, so die gesellschaftlich-nützliche Tätigkeit, die sportlich-touristische und kulturelle Tätigkeit, die Sommerferiengestaltung sowie außerschulische Einrichtungen und Pionierarbeit. Das ist eine informative Darstellung einer ganzen Skala interessanter Tätigkeit der Jung- und Thälmann -Pioniere.

Bolz berichtet auch über Einflussnahmen der Walter Ulbrichts und des damaligen Volksbildungsministers Paul Wandel auf Bedingungen zur Verbesserung der Pionierarbeit.

Die Phase der Entwicklung zu einer antifaschistisch-demokratischen Massenorganisation der Kinder ging ihrem Ende entgegen, als die II. Parteikonferenz der SED 1952 beschloss, in der DDR planmäßig mit dem Aufbau des Sozialismus zu beginnen. Zugleich wurde die schulpolitische Konzeption der SED weiter ausgebaut.

Ein orientierendes Dokument war der Beschluss vom 29.Juli 1952 „Zur Erhöhung des issenschaftlichen Unterrichts und zur Verbesserung der Parteiarbeit an den allgemeinbildenden Schulen“. Mit diesem Beschluss wurde die Umgestaltung des Schulwesens in der DDR eingeleitet und es war von sozialistischer Erziehung die Rede. Es wurde ein neues Bildungs- und Erziehungsziel vorgegeben, auch für die Pionierorganisation.

Bolz beschreibt anschaulich die Probleme, die mit dem Übergang zu einer sozialistischen Kinderorganisation verbunden waren. Ein Kernproblem war, was denn nun neu sei an der Orientierung auf „sozialistische“ Erziehung.

Bolz zeigt, dass es nunmehr darum ging, den Kindern die sozialistische Weltanschauung zu vermitteln, ihnen sozialistische Charaktereigenschaften und erste Elemente eines proletarischen Klassenbewusstseins anzuerziehen.

Damit hatte der 1.Sekretär der FDJ die Aufgabenstellung für die Pionierorganisation weit überzogen, was Bolz hier nicht feststellt. Namokel wurde auch bald von seiner Funktion entbunden. Mehr Genauigkeit wäre hier am Platze gewesen.

Interessant ist die Darstellung des Autors, dass Einschätzungen nach der Wende 1989 ergeben hätten, dass sich ein hoher Prozentsatz der Kinder(bis zu 80%) in ihrer Organisation recht wohl gefühlt hätte. Über seine Einschätzung, dass das theoretische Niveau der Arbeit insgesamt nicht auf der Höhe der Zeit war, lässt sich streiten, dass es Reformstau gab, dem ist wohl zuzustimmen.

Lund beschäftigt sich im 3.Kapitel mit ausgewählten theoretisch-pädagogischen Positionen der Tätigkeit der Kinderorganisation der DDR. Er betont, dass es nicht seine Absicht ist, unter historischem Aspekt der Entwicklung der theoretischen Positionen der Tätigkeit der Kinderorganisation nachzugehen. Er will vielmehr eine Diskussion befördern, die einer sachlichen Aufarbeitung von Erkenntnissen der Pädagogik in der DDR diene und einer Verteufelung von pädagogischen Erkenntnissen in der DDR entgegentrete. Auch ginge es ihm nicht um die Entwicklung der Jugendpolitik in der DDR. Er will die Auseinandersetzung mit jenen, die aus heutiger Sicht dem Verfasser eine neutralistische Darstellungsweise vorwerfen die dazu diene, die weltanschaulichen, ideologischen und politischen Grundlagen im sog. staatssozialistischen Erziehungssystem der DDR zu verdrängen und zu verleugnen. Es sollen vielmehr Zusammenhänge verdeutlicht werden, die einen notwendigen Meinungsaustausch für bessere Sozialisationsbedingungen heute auslösen könnten. Ein sicher nicht einfaches Unterfangen, zumal die Sozialisationsbedingungen heute völlig andere sind.

Eingangs betont auch Lund, „dass es in vielen Pioniergruppen ein interessantes und vielseitiges Gemeinschaftsleben von Jungen und Mädchen gegeben hat, das durch die spezifischen Wünsche und Interessen der Heranwachsenden in hohem Maße geprägt wurde und deren erzieherische Wirkung auf einen Großteil ihrer Mitglieder außerordentlich positiv waren. Die Pioniergruppen waren –trotz ideologischer Überfrachtung – für den einzelnen Jung- und Thälmann-Pionier in der Mehrheit eine bedeutsame Lebens-, Lern- und Spielgemeinschaft.“ Was heißt denn nun ideologischer Überfrachtung? Kann man das nicht genauer erklären?

Lund geht auf einige Problemkreise ein. 1. das Problem des Verhältnisses von Schule und Pionierorganisation, die Verschulung der Tätigkeit der Pionierfreundschaften. Das war eine ständige Gefahr, waren es doch in der Masse Klassenlehrerinnen, die mit ihrer Pioniergruppe/ Klasse auch den Pioniernachmittag gestalteten. 2. das Unvermögen bzw. Unbeholfenheit konstruktive erziehungsmethodische Ansätze und pädagogische Strategien im politisch organisierten Kinderkollektiv der Schulklasse umzusetzen. Anspruchsvolle Ziele auf der einen Seite, auf der anderen „kollektive Ohnmacht“ sie umzusetzen und auch das Problem der Identifizierung des Einzelnen mit den Gruppenzielen. 3. Formale, auf politisch- ideologische Äußerlichkeiten, auf kollektive Geschäftigkeit orientierte Vorhaben entsprachen oft nicht der Bedürfnis- und Interessenlage der Kinder. 4. Es wurde oft nicht beachtet, dass die Pioniergruppe ein sozialer Organismus ist, der sich nach gruppendynamischen Gesetzmäßigkeiten selbst entwickelt. Damit ist das Problem von Fremd- und Selbsteinwirkung angesprochen. Hineinregieren von PionierleiterInnenn oder KlassenlehrerInnen in interne kollektive Angelegenheiten der Gruppen waren nicht selten Quelle für Interesselosigkeit, sozialen Spannungen Widerstände und Konflikte.

Das waren auch Probleme des wissenschaftlichen Meinungsstreites in forschenden Wissenschaftlergruppen an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, an Hoch- und Fachschulen (Institute für Lehrerbildung, Pionierleiterschulen), die sich mit theoretischen und praktischen Problemen der Kinderorganisation befassten.

Des Weiteren geht Lund auf theoretische Positionen zur pädagogischen Führung der Pionierorganisation ein. Hier nennt er die enge Verbindung der Pionierorganisation mit der gesellschaftlichen Entwicklung im Allgemeinen und mit dem Bildungswesen im Besonderen, die politische Fixierung auf die SED, die nach seiner Meinung den demokratischen Charakter der Kinderorganisation einengte.

Weiter stellt er Entwicklungsprobleme in der antifaschistisch- demokratischen Etappe und in der Phase der sozialistischen Schulreform, sowie Probleme der Umsetzung des Prinzips der Selbsttätigkeit dar und geht auf eine Reihe Verzerrungen und mechanistische Auffassungen im Theorieverständnis und ihre praktischen Auswirkungen ein. Abschließend stellt er Probleme der Ausbildung von PionierleiterInnen dar.

Schließlich findet sich ein letztes Kapitel von Winfried Poßner, selbst einer der Vorsitzenden der Pionierorganisation. Er befasst sich mit der Stellung der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ in der Gesellschaft der 80er Jahre in der DDR. Er berichtet vom VIII. Pioniertreffen in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) aus Anlass des 40.Jahrestages der DDR. Das Treffen war nach seiner Einschätzung eine einmalige, einzigartige Leistungsschau, in der das Beste gezeigt wurde, was die Pionierorganisation und ihre außerschulischen Einrichtungen- Pionierhäuser, Stationen junger Naturforscher und Techniker, Arbeits- und Sportgemeinschaften, künstlerische Ensembles und Klubs zu bieten hatten. Gäste und Gastgeber waren beeindruckt von dem, was vor allem Kinder für Kinder boten und von der Begeisterung der TeilnehmerInnen. Selbst Erich Honecker ließ sich anstecken und machte jugendgemäß mit, so Poßner. (Diese Einschätzung wird dann aber teilweise vom Autor selbst wieder in Frage gestellt. S.59)

Das Problem war, dass in der Öffentlichkeit nur das politische Bekenntnis der Teilnehmer und die Ansprache Honeckers als der Höhepunkt des Treffens gewürdigt wurden. Daran macht Poßner fest, dass sich darin die Rolle, die der Pionierorganisation in der politischen Organisation der entwickelten sozialistischen Gesellschaft der DDR in den 80er und 90er Jahren zugedacht war, zeigte: „Die Mädchen und Jungen –möglichst alle- auf die Partei, ihre Führung und deren Generalsekretär, Erich Honecker persönlich, und damit auf die aktive Teilnahme am weiteren Aufbau des Sozialismus, natürlich auf der Grundlage der Beschlüsse der SED, einzuschwören. „Um diesen, dem Wesen nach schon bei der Gründung der Pionierorganisation am 13.12.1948 durch die damalige Parteiführung postulierten politischen Anspruch umsetzen zu können, waren in 4o Jahren DDR die dafür notwendigen Strukturen und Rahmenbedingungen geschaffen worden“, so der Autor. Die nach seiner Meinung Wichtigsten werden benannt.

Dass es nur ein Jahr später zu totalen Auflösungserscheinungen der DDR und auch der Pinderorganisation kommen sollte, ahnte beim Pioniertreffen in Karl-Marx-Stadt noch keiner. „Was bleibt sind Erinnerungen“, so Poßner. Und diese sind 20 Jahre nach dem Fall der Mauer mit ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung geraten. In den heutigen Regierungsetagen sei man unzufrieden damit, dass die gewünschte Delegitimation all dessen, was die DDR ausmachte, nicht gelungen sei, sich auch und gerade bei jungen Leuten ein angeblich verklärtes Bild zu 40 Jahren DDR festmachen ließe, geprägt vor allem von den Elternhäusern.

Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ ist Geschichte. Es ist gut, dass sich Bolz, Lund und Poßner dieser Geschichte angenommen haben. Um zu einem ausgewogeneren Urteil zu kommen, muss man sicher weitere differenzierte Untersuchen anstellen. Darin sollen die Autoren bekräftigt werden. Eine Reihe Zeitzeugen gibt es ja noch.

Ein Heft, das zur Diskussion anregt, auch zum eigenen Nachdenken und an einer Reihe Stellen zu Widerspruch.

Hannes Gerd, Berlin

Zukunftswerkstatt Linke Bildungspolitik. 60 Jahre Bundesrepublik - 40 Jahre DDR - 20 Jahre Transformation. Bildung zwischen Reform und Restauration – zur Verdrängung demokratisch - emanzipatorischer Ideen Bildungspolitische Forderungen 2009 - BEIHEFT - BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT BILDUNGSPOLITIK Berlin 2/2009, S. 57-59.

In der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 28.6.2009, S. 4, ist zudem ein Artikel von Markus Wehner erscheinen unter dem Titel "Wenn die Kinder wieder singen. Pionierleiter der DDR trauern der alten Zeit nach".

Gesellschaftswissenschaftliches Forum e.V.

Referenten: Dr. Jörgpeter Lund, Dr. Wilfried Poßner
Moderation: Dr. Peter Welker
Kosten: 1,50 Euro

Wo?

Helle Panke
Kopenhagener Str. 9
10437 Berlin