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Heft 193: Münzenberg und die Intellektuellen

Die Jahre in der Weimarer Republik 1921 bis 1933

Von: Dieter Schiller

Heft 193: Münzenberg und die Intellektuellen

Reihe "Pankower Vorträge", Heft 193, 2014, 40 S.

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Das vorliegende Heft enthält die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrags des Autors in der Veranstaltungsreihe der „Hellen Panke“ e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin im Seniorenklub am 4. Juni 2013.

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Autor: Prof. Dr. Dieter Schiller – Literaturwissenschaftler, lebt in Berlin

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INHALT

Münzenbergs Platz in der kommunistischen Bewegung

Internationale Arbeiterhilfe an der "Kulturfront"

Münzenbergs Medienkonzern und die Intellektuellen

Münzenberg und seine Mitarbeiter

Der Neue Deutsche Verlag

Blockierte Verständigung

Friedenskongress in Amsterdam

Letzte Aktionen

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LESEPROBE

Münzenbergs Platz in der kommunistischen Bewegung

Arthur Koestler bekennt in seinen Memoiren, er sei dem Kommunistenführer Willi Münzenberg bis zu dessen Tod(1) sehr zugetan gewesen. Ein "feuriger, demagogischer und unwiderstehlicher Redner und ein geborener Menschenführer" war er in seinen Augen, "nicht Politiker, sondern Propagandist, nicht Theoretiker, sondern 'Aktivist'".[2] Ganz präzise ist das nicht gesagt, denn als Mitbegründer der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI), Funktionsträger der Kommunistischen Internationale (Komintern), Mitglied des Zentralkomitees der KPD und kommunistischer Reichstagsabgeordneter (MdR) war Münzenberg natürlich ein gestandener Politiker. Er vertrat den Kurs der Komintern lange Jahre diszipliniert, freilich auf seine eigene Art und Weise. Seine speziellen Aufgaben lagen im Vorfeld der Partei, sie waren darauf gerichtet, die proletarischen Massen mit Hilfe parteiloser Sympathisanten im Zeichen der internationalen Solidarität zu mobilisieren und sie organisatorisch zusammenzufassen. Nicht Wohltätigkeit zu üben, war das Ziel, sondern Klassensolidarität zu entwickeln. Es ging darum, die Bereitschaft der Arbeiter verschiedener Länder zu stärken, nicht nur eigene Interessen zu verfechten, sondern im Interesse anderer, auch fremdländischer proletarischer Schichten und werktätiger Massen zu handeln.[3] Münzenbergs – wie Arthur Koestler schreibt – "ungewöhnliche Position" in der kommunistischen Hierarchie ergab sich daraus, dass er Lenins Auftrag, die Hungerhilfe für Sowjetrussland zu organisieren,[4] begeistert aufgriff und – wie er in einem Brief an Lenin schreibt – aus der "großen Aktion für die Hungernden in Rußland" für sich ein "Stück Lebensaufgabe" machte.[5] Er verstand es, in wenigen Monaten und Jahren aus dem Auslandskomitee zur Organisierung der Hungerhilfe und den Hilfskomitees von Künstlern, Intellektuellen und Arbeitern eine weltweit wirkende internationale Organisation zu formieren, die "Internationale Arbeiterhilfe" (IAH, Meschrabpom).[6] Diese wiederum machte er schrittweise zum Träger selbständiger – und ihrem Status nach überparteilicher – Medien-Unternehmen für die Agitation und Propaganda im Umfeld der Kommunistischen Partei. Aus einem breit angelegten Geflecht von Medien wurde schrittweise der – schon damals so bezeichnete – "Münzenberg-Konzern",[7] der unter seiner Leitung stand. Das verschaffte Münzenberg einen organisatorischen und finanziellen Spielraum gegenüber den deutschen Partei-Instanzen und ihrem Funktionärsapparat. Denn verantwortlich war er mit seinen Unternehmungen dem Moskauer Exekutiv-Komitee der Komintern (EKKI), das in allen wichtigen politischen, organisatorischen und finanziellen Fragen das letzte Wort hatte. Über Münzenbergs Gründungen und deren Finanzen wurde am Ende dort entschieden. Doch betonte er noch im Jahr 1937, er habe bisher immer eine gewisse Selbständigkeit und Unabhängigkeit gehabt und könne nun einmal nicht erfolgreich arbeiten, wenn er bei jeder Frage auf eine Entscheidung von außen warten müsse.[8]

Dass Münzenberg es verstand, mit seiner demonstrativ undoktrinären Haltung große Teile der intellektuellen Linken der Weimarer Republik anzusprechen, ist vielfach bezeugt. Selbst den streitfreudigen Kurt Hiller, der im Lauf der Jahre manchen Strauß mit ihm ausfocht, beeindruckte der "Verlagsmann und Reichstagsabgeordnete Willi Münzenberg" als "ein hinreißender Rhetor". Unter deutschen Arbeiterführern – meint Hiller – sei er "wohl seit Bebel der stärkste" Redner.[9] Er sprach auf den Kongressen und Massenkundgebungen seiner Organisationen und Komitees, auf Parteiveranstaltungen und im Reichstag, wusste aber auch bei kulturpolitischen Zusammenkünften die richtigen Worte zu finden.[10] In Hillers Erinnerungen heißt es rückblickend, Münzenberg sei ein "Kopf" gewesen, der "über Entscheidendes unschablonenhaft, selbständig, manchmal mit genialer Hellsicht" dachte. Ins Gespräch gekommen seien sie beide Anfang 1927 über die Idee, eine "repräsentative Monatsschrift der Linken" unter Hillers Redaktion herauszugeben. Letzten Endes sei der gemeinsame Plan am Einspruch aus Moskau gescheitert.[11] Freilich lässt ein ernstlicher Blick auf die Münzenberg-Presse jener Jahre vermuten, dass die Vorstellungen der Gesprächspartner ohnehin nicht so kompatibel waren, wie Hiller sie darstellt. Die Chancen, eine solche Zeitschrift zustande zu bringen, waren deshalb wohl von vornherein sehr gering. Doch nicht darum geht es mir hier, sondern um die Art des Umgangs miteinander, um den Eindruck, den die Begegnungen mit Münzenberg bei Hiller und Leuten mit einer ähnlichen Haltung hinterließen.

[1] Koestler schreibt: bis zu seiner "Ermordung". Zu Münzenbergs Todesursache sind die Meinungen geteilt. Vgl. Kurt Kersten, Das Ende Willi Münzenbergs. In: Deutsche Rundschau 83(1957)5, S. 484 ff. – Gerhard Leo, Frühzug nach Toulouse. Berlin 1988, S. 331 ff. – Harald Wessel: "... hat sich offenbar selbst umgebracht ..." Untersuchungsprotokoll zum Auffinden der Leiche Willi Münzenbergs am 17. Oktober 1940. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 33. Jg. Heft 1/1991, S. 73–79. – Harald Wessel, Münzenbergs Ende. Ein deutscher Kommunist im Widerstand gegen Hitler und Stalin. Berlin 1991, S. 357 ff. – Karlheinz Pech, Ein neuer Zeuge im Todesfall Willi Münzenberg; sowie Martin Rott, Untersuchung über den Tod von Willi Münzenberg. In: Tania Schlie/Simone Roche (Hg.), Willi Münzenberg (1889–1940). Ein deutscher Kommunist im Spannungsfeld zwischen Stalinismus und Antifaschismus. Frankfurt am Main 1995, S. 211 ff., S. 219. – Nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens spricht mehr für Selbstmord als für Mord, doch die Frage bleibt letztlich ungeklärt.

[2] Arthur Koestler, Frühe Empörung. Autobiographische Schriften. Erster Band. Berlin und München 1993, S. 422 f.

[3] Willi Münzenberg, Warum Internationale Arbeiterhilfe? In: W. Münzenberg, Propaganda als Waffe. Ausgewählte Schriften 1919–1940. Hg. v. Til Schulz. Frankfurt am Main 1972, S. 139. – Erste Anregungen für meine Arbeit gingen aus von Harald Wessel, Willi Münzenberg – seine frühen Jahre in Thüringen. Zum 100. Geburtstag ein illustrativer biographischer Streifzug Teil 1–4. In: Neues Deutschland 29./30.7.1989, 5./6.8.1989, 12./13.8.1989, 19./20.8.1989; Bärbel Schrader, Willi Münzenbergs Verlags- und Pressearbeit für die internationale Arbeiterbewegung. In: Weimarer Beiträge 8/1989; Sigrid Bock, "Der Verräter, Stalin, bist Du". Willi Münzenberg im Spannungsfeld zwischen Stalinismus und Antifaschismus. Gedanken zu einem Tagungsprotokoll. In: Neues Deutschland 11./12.5.1996 (Über Tania Schlie/Simone Roche (Hg.), Willi Münzenberg 1889–1940. Frankfurt am Main 1995).

[4] Nach Münzenbergs Darstellung hat er den Auftrag, eine internationale Hilfsaktion für die Hungergebiete zu organisieren, von Lenin in einem persönlichen Gespräch erhalten. Vgl. Willi Münzenberg, Die Dritte Front. Aufzeichnungen aus 15 Jahren proletarischer Jugendbewegung. Berlin 1930, S. 347 f. – Kasper Braskén stellt in seiner jüngsten Studie über die Internationale Arbeiterhilfe fest, aus dem Archivmaterial sei nicht zu ersehen, ob Lenin tatsächlich den Auftrag an Münzenberg erteilte. Nach den offiziellen Dokumenten habe der Vorsitzende der Komintern Sinowjew am 27. Juni 1921 vorgeschlagen, Münzenberg solle die Leitung der Kampagne übernehmen. Vgl. Kasper Braskén, Willi Münzenberg und die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) 1921 bis 1933. Eine neue Geschichte. In: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2012/III, S. 64. Der Brief Münzenbergs an Lenin vom 28.7.1921 scheint diese Darstellung zu bestätigen, doch kann ein vorangehendes Gespräch nicht ausgeschlossen werden. Vgl. Briefe Deutscher an Lenin 1917–1923. Berlin 1990, S. 319.

[5] Willi Münzenberg an Lenin, Moskau 28.7.1921. In: Briefe Deutscher an Lenin. Hg. und eingeleitet von Ruth Stoljarowa und Peter Schmalfuß. Berlin 1990, S. 319. – Ich danke Ruth Stoljarowa für ihre Hinweise und Jörn Schütrumpf für seine Hilfe.

[6] Einen lebhaften Eindruck von Münzenbergs Wirkung und der Tätigkeit der IAH vermittelt Gertrud Alexander aus der Erinnerung in einem Brief an Fritz Mierau vom 23.3.1956. In: Fritz Mierau (Hg.), Russen in Berlin. Literatur Malerei Theater Film 1918–1933. Leipzig 1987, S. 218.

[7] Diesen Begriff hat Münzenberg selbst gebraucht. Vgl. Willi Münzenberg, Münzenberg-Konzern. Sozialdemokratische Geschäfte oder revolutionäre Propaganda als Ziel der wirtschaftlichen Unternehmungen der Arbeiterorganisationen (Beihefte zum "Roten Aufbau", Heft 1). Berlin o.J. (1929). – Rolf Surmann plädiert für den Begriff IAH-Konzern, um der Personalisierung zu entgehen. Vgl. Rolf Surmann, Die Münzenberg-Legende. Zur Publizistik der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung 1921–1933. Köln 1982.

[8] SAPMO-Barch NY 36/515,90 ff. Betr. Münzenberg. Bericht über eine Besprechung mit M.

[9] Kurt Hiller, Rote Ritter. Erlebnisse mit deutschen Kommunisten. Berlin, Fürth 1980, S. 13 ff. (Erstausgabe 1951).

[10] Meines Wissens gibt es bis heute keine Dokumentation zu der Vielzahl von Reden Münzenbergs, auc sind mir keine Spezialstudien zu diesem Bereich seines Wirkens bekannt. Welchen Umfang Münzenbergs Tätigkeit als Versammlungsredner oder Referent hatte, zeigen Hinweise – die Beispiele sind willkürlich gewählt – aus dem Jahrgang 1931 der Roten Fahne, Berlin, auf Reden Münzenbergs in einer Massenkundgebung der IAH zu neuen Russenfilmen (22.1.), in einer Kundgebung der IAH gegen das Verbot des Roten Frontkämpferbundes (22.5.), in einer Riesenkundgebung in Frankfurt am Main (9.8.) und auf dem 8. Weltkongress der IAH (18.10.). Das sind nur einige seiner Auftritte. In den Berichten wird betont, dass er von den Teilnehmern stürmisch begrüßt wurde. Er war ein beliebter Redner.

[11] Kurt Hiller, Rote Ritter, S. 13 ff.

In der Jungen Welt vom 9. Februar 2015 ist von Felix Clay eine Besprechung des Heft erschienen.

  • Preis: 4.00 €