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Heft 146: Denkwege aus der Konformität

Bausteine zu Robert Havemanns intellektueller Biographie in den 1950er und frühen 1960er Jahren

Von: Hubert Laitko

Heft 146: Denkwege aus der Konformität

Reihe "Pankower Vorträge", Heft 146, 2010, 52 S., A5, 3 Euro plus Versand

Inhalt

Vorbemerkung                                                                                         

1.   Von der philosophischen zur politischen Kritik: Genese einer Dissidenz 

1.1. Philosophische Probleme der naturwissenschaftlichen Erkenntnis           

1.2. Der Aufbau der Konfrontation zwischen Havemann und den Berufsphilosophen in der DDR                                                               

1.3. Interpretation der Quantenmechanik und Kritik des mechanischen Determinismus                                            

1.4. Sozialphilosophische und gesellschaftstheoretische Konsequenzen       

2.   Havemann und die Partei: ein eskalierender Konflikt                           

2.1. Havemanns Kampf um die Aufhebung des Parteiausschlusses             

2.2. Die Auffassung der Sozialismusidee als Kern des Konflikts                 

2.3.   Die Ausgrenzung und Isolation Havemanns als Risikostrategie

Aus der Vorbemerkung:
Der einhundertste Geburtstag Robert Havemanns am 11. März 2010, eines der wichtigsten deutschen Jubiläen dieses Jahres, hat der Beschäftigung mit Robert Havemanns politischer und intellektueller Biographie einen neuen Impuls verliehen. Am 12.3. veranstaltete die Robert-Havemann-Gesellschaft in Verbindung mit der Heinrich-Böll-Stiftung und in deren Räumlichkeiten ein Symposium zum Thema „Robert Havemann und die Opposition in der DDR“, in dessen Programm der Autor dieses Textes mit dem Vortrag „Das Sozialismuskonzept Robert Havemanns im Wandel“ vertreten war. Havemanns Vorstellung von einem demokratischen Sozialismus als erstrebenswerter Entwicklungsalternative moderner Gesellschaften ist in einem langen und schmerzlichen Prozess gereift. Die Tatsache, dass sein vollständiger Ausschluss aus dem öffentlichen Leben der DDR fast schlagartig erfolgte und von seiner fristlosen Entlassung aus der Humboldt-Universität 1964 bis zur statutenwidrigen Streichung seiner korrespondierenden Mitgliedschaft in der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) 1966 nur etwa zwei Jahre vergingen, darf nicht zu der Annahme verleiten, er hätte im Takt seiner Maßregelungen seinen weltanschaulichen und politischen Standpunkt jäh geändert. Eine etwas nähere Beschäftigung mit seinen Texten lässt zweifelsfrei erkennen, dass er zwischen seiner Übersiedelung aus Westberlin in die DDR 1950 und dem Beginn seiner vielbesprochenen Vorlesungsreihe 1963, an deren Ende der Eklat der fristlosen Entlassung und des Ausschlusses aus der SED stand, eine tiefgreifende intellektuelle Entwicklung durchlaufen hat, die keineswegs auf die Ebene seiner politischen Ansichten beschränkt war. Eher war seine politische Neuorientierung eine Konsequenz seines philosophischen Nachdenkens, doch es wäre auch nicht zutreffend, zwischen Philosophie und Politik in der Sicht Havemanns eine einseitige Abhängigkeit zu postulieren. Am produktivsten erscheint es vielmehr, diese beiden Aspekte seiner intellektuellen Position – den philosophischen und den politischen – in ihrem inneren Zusammenhang in den Blick zu nehmen und dabei stets zu beachten, dass er an die Beurteilung dieser Fragen mit der nüchternen, struktur- und prozessbezogenen Denkweise des Naturwissenschaftlers herantrat.

Der vorliegende Text erörtert die Entwicklung der weltanschaulichen und politischen Position Havemanns nur für die Periode, in der er in der DDR noch öffentlich auftreten konnte. Von zentraler Bedeutung ist dabei die 1963/64 gehaltene Vorlesung. Diese Vorlesung konnte in der DDR allerdings nur noch mündlich vorgetragen, aber nicht mehr publiziert werden. Es ist eine Erwähnung wert, dass Havemann das Manuskript dem westdeutschen Rowohlt-Verlag, in dem es schließlich erschien, keineswegs sofort offeriert hat. Er hat es, den im ostdeutschen Staat geltenden Regularien gemäß, zunächst dem Dietz Verlag und weiteren von ihrem Profil her in Frage kommenden DDR-Verlagen angeboten. Erst nachdem erwiesen war, dass sich keiner dieser Verlage ernsthaft mit seinem Text befassen würde und dass ihm der Zugang zur publizistischen Öffentlichkeit der DDR grundsätzlich nicht mehr zur Verfügung stand, wählte er den Weg über westliche Medien, dessen Problematik ihm als einem überzeugten Kommunisten immer bewusst blieb.

Die Transformation seiner Ansichten hatte zwei Seiten, die sich nur methodisch, zum Zweck der Darstellung, voneinander scheiden lassen. Die erste, „innere“ Seite war die positive Entwicklung seiner philosophischen und gesellschaftstheoretischen Position; die zweite, „äußere“ Seite war der sich nach und nach ausprägende Dissens zur offiziellen Partei- und Staatspolitik, in dem sich sein innerer Positionswandel nach außen hin politisch geltend machte. Es liegt auf der Hand, dass es zwischen beiden Seiten eine gewisse Zeitverschiebung gab. Der innere Positionswandel musste erst in Gang gekommen sein, ehe er sich in Reibungen mit der Parteihierarchie manifestieren konnte. Da diese Manifestation zum Gesamtbild des Positionswandels gehört, wird sie hier mitbehandelt, allerdings strikt beschränkt auf ihr geistiges Zentrum, den Kontrast und Konflikt der Sozialismuskonzepte. Durch diese Konzentration wird der existentielle Ernst deutlich, den der aufbrechende Gegensatz für beide Seiten hatte. Nur zu leicht wird diese tragische Dimension der Auseinandersetzung verfehlt, wenn man einen aufrechten Einzelkämpfer und einen omnipotenten Machtapparat als Antagonisten auf der historischen Bühne agieren lässt. Deshalb werden hier in aller Kürze auch die Risiken erwähnt, die die Führung der SED ihrerseits teils bewusst, teils unbewusst einging, als sie sich zu einer Radikallösung des Konflikts in ihrem Sinne entschloss. Die Geschichte hat erwiesen, dass sie diese Risiken auf Dauer nicht tragen konnte; freilich hat Havemann ihr Urteil nicht mehr erleben können. Um diese zweite Seite zu behandeln, musste in einigen Fällen auch auf Äußerungen Havemanns nach dem Frühjahr 1964 zurückgegriffen werden. Generell aber hält sich dieser Text an die methodische Vorgabe, die Entwicklung seiner Position mit Aussagen zu belegen, die er – schriftlich oder mündlich – in der DDR gemacht hat.

Von und über Robert Havemann liegt als Konsequenz seines außergewöhnlichen Schicksals in der DDR eine Fülle von Literatur vor. Zentrum der Forschungen über Havemann ist die in Berlin ansässige Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. In ihrem Besitz befindet sich ein umfangreicher Bestand von Dokumenten und Literatur zu Havemann, darunter der von Werner Theuer erschlossene Nachlass; die wissenschaftliche Zuständigkeit für diesen Bestand liegt bei Bernd Florath. Die Gesellschaft publiziert Studien und Dokumenteneditionen. Von besonderer Wichtigkeit für die folgenden Ausführungen ist die von Florath und Silvia Müller mit größter Sorgfalt zusammengestellte kommentierte Dokumentensammlung Die Entlassung, die die Vorgänge um Havemanns Entfernung aus der DAW minutiös belegt und die 1996 als erster Band in der Schriftenreihe des Robert-Havemann-Archivs erschienen ist. Einen Überblick über die hauptsächlichen Stationen seines Lebensweges bietet der 1991 publizierte und noch immer unentbehrliche Band Robert Havemann. Dokumente eines Lebens; die verschiedenen Perioden seines Lebens werden in von unterschiedlichen Autoren verfassten Kapiteln dargestellt, und jedem dieser Kapitel ist eine dem betreffenden Lebensabschnitt zugehörige Dokumentenauswahl beigegeben. Die Einleitungen der diversen Editionen von Havemann-Texten und auch zahlreiche Bücher und Aufsätze zu verschiedenen Phasen und Aspekten seines Wirkens enthalten weiteres biographisches Material. Eine detaillierte Havemann-Biographie, die akademischen Ansprüchen genügt, steht noch aus. Die für die politische Entwicklung Havemanns in der DDR maßgebenden Ereignisse werden im folgenden Text nicht behandelt; hier wird ihre Darstellung in der vorliegenden Literatur vorausgesetzt.

  • Preis: 4.00 €
  • Erscheinungsjahr: 2010