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Heft 109: Die SED in Konfliktsituationen. Die siebziger Jahre

Konferenzreihe zu historischen Knotenpunkten: 1946 – 1956 – 1966 – 1976 – 1986

Von: Joachim Heise, Klaus Höpcke, Olaf Klenke, Harald Neubert, Hans-Christoph Rauh

Heft 109: Die SED in Konfliktsituationen. Die siebziger Jahre

Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 109, 2007, 55 S., A5, 3 Euro plus Versand

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Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 109, 2007, 55 S., A5, 3 Euro plus Versand (Konferenzbeiträge)

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INHALT

Olaf Klenke: Die Wende des VIII. Parteitages und das Problem der Effizienz
Klaus Höpcke: Zwischen kulturellem Aufbruch und dem Elend der Gängelei
Joachim Heise: Konflikte und Krisen in der Kirchenpolitik der SED in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre
Harald Neubert: Die SED und die Lernprozesse in Bruderparteien am Beispiel derBerliner Konferenz der kommunistischen Parteien Europas 1976
Hans-Christoph Rauh: Dialektik ohne Widerspruch.Zur DDR-Philosophie in den 70er Jahren

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LESEPROBE

Olaf Klenke

Die Wende des VIII. Parteitages und das Problem der Effizienz

Die frühen 1970er Jahre stellen einen Wendepunkt in der wirtschaftlichen Entwicklung der DDR dar. Nach der Erinnerung des SPK-Vorsitzenden Schürer wurden damals wirtschaftspolitisch die Weichen falsch gestellt und der Zug fuhr seitdem mit einer ansteigenden Verschuldung in die falsche Richtung. Zuvor war eine wirtschaftspolitische Wende eingeleitet worden. Die wirtschaftlichen Reformen der 1960er Jahre wurden gestoppt und größtenteils zurückgenommen. Die Investitionen wurden gedrosselt, was oftmals als Grund dafür gesehen wird, dass die erforderliche wirtschaftliche Modernisierung ausblieb und infolge dessen die wirtschaftlichen Probleme zunahmen.

Heute gibt es zwei Erklärungsmuster für das wirtschaftliche Scheitern der DDR. Eine Strömung sieht den wirtschaftlichen Niedergang maßgeblich durch wirtschaftliche Fehlentscheidungen verursacht. Für die andere Strömung musste dagegen die DDR mit ihrer zentralstaatlichen Planung an sich scheitern. Beide Erklärungsmuster richten ihren Blick fast ausschließlich auf die DDR. Dabei befand sich Mitte der 1970er Jahre die gesamte Weltwirtschaft im Umbruch. Es spricht einiges dafür die wirtschaftlichen Probleme der DDR in diesem Kontext zu behandeln.

Genau genommen lag die eigentliche wirtschaftspolitische Wende der DDR nicht im Jahr 1976, sondern im Jahr 1971. Der VIII. Parteitag beschloss damals die so genannte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Danach sollten die sozialpolitischen Elemente in der Politik der SED stärker berücksichtigt werden. Im Jahr 1976 fand sich dies auch in den Beschlüssen des IX. Parteitages wieder. Sie zielten darauf ab, die Arbeits- und Lebensbedingungen von berufstätigen Müttern, für Schichtarbeiter und Rentner zu verbessern. Damit wuchs der Anteil der Ausgaben für den Konsum gegenüber dem der Investitionen. Mittelfristig, so hoffte die Parteiführung, würde sich dieser Kursschwenk auszahlen. Und zeitgleich arbeiteten die Wirtschaftsexperten der Partei im Jahr 1976 an den Plänen zum Aufbau einer neuen Technologie: der Mikroelektronik. Von dieser erhoffte man sich große Rationalisierungsgewinne, auch um so die Politik der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik gewährleisten zu können. Wie im Folgenden gezeigt wird, gestaltete sich dies schwierig. Diese neue Technik war Ausdruck für eine zunehmend international organisierte Weltwirtschaft. Eine neue Entwicklung, die die bisherige Industriepolitik der DDR in Frage stellte.

Zunächst zurück zum wirtschaftspolitischen Kurswechsel zu Beginn der 1970er Jahre. Verbunden damit war die Ablösung des langjährigen Parteichefs Ulbrich. Der Kurswechsel hatte einen rationalen Kern. Er war eine Reaktion auf die unter Ulbricht in den 1960er Jahren betriebene Wachstums- und Technologieoffensive, die die Wirtschaft überfordert und auf Kosten des Konsums stattgefunden hatte. Die SED erhoffte sich von der damit einhergehenden Verbesserung der Lebensbedingungen eine höhere Arbeitsmotivation. Vor dem Hintergrund der Arbeiteraufstände in Polen 1970/71 sollten die sozialpolitischen Maßnahmen gleichzeitig einer tieferen sozialen Gärung in der DDR vorbeugen.

Über lange Zeit war die zentralstaatliche Planwirtschaft so erfolgreich, dass eine internationale Studie noch Ende der 1970er Jahre zu dem Urteil kam, die DDR habe mit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung „bedeutende Marktwirtschaften ‚ausgestochen’“. Allerdings trug das Wachstum einen Makel. In der DDR wie in den anderen Ländern des Ostblocks brachte man für die gleiche Produktionsmenge wesentlich mehr Ressourcen auf als im westlichen Kapitalismus. Der marginale Kapitalkoeffizient, ein Ausdruck für die Effektivität der Investitionen, lag in der DDR über den Zeitraum ihrer Existenz fast immer über dem der Bundesrepublik.

Das extensive Wachstum drückte eine im System vorherrschende Tendenz zur Verschwendung aus. Die Planzahlen der Betriebe machten sich an Produktionsmengen fest, rechneten aber die dafür aufgewendeten Ressourcen nur ungenügend ein. So entstand eine „Tonnenideologie“: Je größer der Aufwand zur Herstellung eines Produktes, desto größer der ausgewiesene Wert. Das eigentliche Problem bestand darin, dass der Staat nur geringe Mittel für Sanktionen besaß. Über den zentralen Staatsapparat wurde der Finanzbedarf der Betriebe gedeckt. Dieser war als „Gesamtunternehmer“ jedoch nicht bereit, Betriebe Konkurs gehen zu lassen. Die Folge waren so genannte „weiche Budgetbeschränkungen“.

Verschwendung im Allgemeinen wie „weiche Budgetbeschränkungen“ im Besonderen gab es auch im westlichen Kapitalismus. „Harte Budgetbeschränkungen“ des Marktes wurden beispielsweise aufgeweicht, wenn der Bankrott größerer Wirtschaftseinheiten ein solches Ausmaß erreichte, dass er bedeutende Teile der Volkswirtschaft gefährdete. Aber im Allgemeinen wirkte der Mechanismus der Markbereinigung, während in der DDR die unprofitablen Bereiche von der ganzen Volkswirtschaft mit getragen wurden. Dieser Umstand erklärt jedoch nicht das Ausmaß, das die wirtschaftlichen Probleme der DDR seit Mitte der 1970er Jahre annahm.

Ein Blick über die Grenzen der DDR hinaus zeigt, dass in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die wirtschaftspolitischen Weichen weltweit neu gestellt wurden. Durch das Ende des „Goldenen Zeitalters“, wie der britische Historiker und Marxist Eric Hobsbawn den weltweiten Wirtschaftsaufschwung nach dem 2. Weltkrieg nannte, kämpften ebenso die westlichen Industrieländer mit Krise, Wachstumsschwäche und „Strukturproblemen“. Anfang der 1970er Jahre kam es dort zu einem deutlichen wirtschaftlichen Einbruch. Die Massenarbeitslosigkeit kehrte wieder zurück. Und im Süden starteten zahlreiche Entwicklungsländer eine kreditfinanzierte Modernisierung, die Anfang der 1980er Jahre meist in die Schuldenkrise mündete.

Die DDR stand mit ihren wirtschaftlichen Problemen also keineswegs allein. Allerdings gab es innerhalb des allgemeinen Krisenszenarios eine Besonderheit. Sie bestand darin, dass sich wirtschaftlich die Schere zwischen Ost und West dramatisch auseinander zu entwickeln begann. Mit ihrem extensiven Wachstum besaßen die östlichen Wirtschaften von jeher einen Schwachpunkt. Dennoch hielten sich lange Zeit Stärken und Schwächen der jeweiligen Wirtschaftsysteme die Waage. Die wirtschaftliche Entwicklung in Ost und West driftete bis zum Ende der 1960er Jahre nicht in einem solchen Maß auseinander, wie es für die folgenden zwei Jahrzehnte der Fall sein sollte.

Exemplarisch zeigt dies die Branche des Werkzeugmaschinenbaus. In den ersten Jahrzehnten der DDR vollzog dieser Industriezweig eine bedeutende Entwicklung. Trotz schlechter äußerer Umstände gelang ein Einbruch in westliche Märkte. Der Anteil des Westexportes an der Gesamtausfuhr der Branche wuchs über die 1950er Jahre von 5 Prozent auf 12 Prozent und lag 1970 bei 17,5 Prozent. Bis in die 1970er Jahre war so der Wettlauf zwischen ost- und westdeutschen Werkzeugmaschinenherstellern keineswegs entschieden. Dies lag vor allem daran, dass manche westliche Hersteller von den in den 1960er Jahre aufkommenden flexiblen Fertigungssystemen zunächst große Risiken und eine geringe Wirtschaftlichkeit ausgehen sahen. Die staatliche Planung in der DDR ignorierte dagegen diese Bedenken.

Eingeläutet wurde die rapide Verschiebung der Kräfteverhältnisse durch den Einzug mikroelektronischer Steuerungen. Der Westexportanteil des Maschinenbaus stürzte ab, Mitte der 1980er Jahre auf weniger als 4 Prozent. Die neue Technik war dabei mehr als eine neue technische Innovation. Die Mikroelektronik, auf der sie basierte, drückte einen tiefgreifenden Wandel der Weltwirtschaft aus, der die Rahmenbedingungen, unter denen der Systemwettstreit zwischen Ost- und Westblock stattfand, nachhaltig änderte.

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