Publikationen

Suchmaske
Suche schließen

Heft 101: Eine Partei zwischen Lehren der Geschichte und Zwang

SED-Gründung vor 60 Jahren

Von: Rolf Badstübner, Günter Benser, Stefan Bollinger, Stefan Doernberg, Heinz Niemann, Hans-Christoph Rauh

Heft 101: Eine Partei zwischen Lehren der Geschichte und Zwang

Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 101, 2006, 69 S., A5, 3 Euro plus Versand

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Reihe "hefte zur ddr-geschichte", Heft 101, 2006, 69 S., A5, 3 Euro plus Versand

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

INHALT

Stefan Bollinger
60 Jahre SED – eine Partei mit ihren Krisen und Chancen, eine Partei der Einheit?Überlegungen für die Gegenwart

Rolf Badstübner
Die SED 1946: Entnazifizierung, Bodenreform, Verstaatlichung

Günter Benser
Die Gründung der SED aus der Sicht des Jahres 2006

Heinz Niemann
Geschichtsbild und Programmatik
Gedanken zum 60. Jahrestag der SED

Hans-Christoph Rauh
Nachkriegszeitliche Ausgangspunkte für Philosophie 1946 in der SBZ

Stefan Doernberg
Erinnerungen und Bewertungen als Zeitzeuge und Historiker

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------

LESEPROBE

Vorbemerkung

Die SED in Konfliktsituationen 1946 – 1956 – 1966 – 1976 – 1986: Die SED zwischen Emanzipation und Zwang, Reform und Stagnation

2006 jährt sich die Vereinigung von KPD und SPD zum 60. Mal. Die Vorgängerpartei der Linkspartei.PDS hatte damals einen berechtigten, weitgehenden Anspruch – die Einheit der Arbeiterklasse als Lehre aus dem antifaschistischen Kampf und als Einstieg in die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Bereits der Beginn dieser neuen Etappe linker Politik in Deutschland war überschattet vom Stalinismus. Der Schwur von Kommunisten und Sozialdemokraten in den KZs und Zuchthäusern, die Einheit demokratisch herzustellen, wurde von einem Prozess mit berechtigten Wünschen und praktischem Zwang verdrängt. Spätestens mit dem Übergang zu einer "Partei neuen Typus" durch die bewusste Bolschewisierung und Stalinisierung wurde die Chance einer demokratisch-sozialistischen Entwicklung zerstört.

Trotzdem verkörperte und führte sie einen Weg der sozialistischen Alternative in Deutschland gegen die faschistische Grunderfahrung und die kapitalistische Restauration im Westen. In einer fünfteiligen Konferenzreihe von Helle Panke und Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg, mit Unterstützung der RLS Berlin, werden Knotenpunkte dieser Entwicklung näher beleuchtet und jene Chancen wie Sackgassen aufgezeigt, die die Partei, ihre Führer und ihre Basis umtrieben. Der Versuch einer besseren deutschen Gesellschaft versank immer wieder in jenen stalinistischen Grundstrukturen, die letztlich die DDR-Bürger und zunehmend auch Genossen abstieß. Gleichzeitig wurden wichtige Leistungen zum Wohle des Volkes und zur Sicherung des Friedens erbracht – eine ambivalente Bilanz.

An historischen Knotenpunkten – den Jahren 1946, 1956, 1966, 1976 und 1986 – wird dies exemplarisch vorgeführt. Helle Panke fungiert als Träger der Veranstaltungen zu 1946, 1966 und 1976, die RLS Brandenburg zu 1956 und 1986. Beide Vereine publizieren die Ergebnisse der von ihnen verantworteten Konferenzen.

Dr. Stefan Bollinger, Projektleiter

-------------------

Stefan Bollinger
60 Jahre SED – eine Partei mit ihren Krisen und Chancen, eine Partei der Einheit?
Überlegungen für die Gegenwart

Die ewige Frage nach der Einheit
Das Leben spielt wie immer die besten Streiche. Wollen wir hoffen, dass Marx" Erinnerung an den dialektischen Hegel, der einmal bemerkte, "dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen", aber "vergessen (habe) hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce"[1], auf einen aktuellen Prozess nicht zutrifft. Denn fast zeitgleich zum Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD in der SBZ 1945/46, haben sich 60 Jahre später erneut Linke für einen Parteibildungsprozess verabredet. Die mehr ostdeutsche PDS, nun Linkspartei.PDS, und die eher westdeutsche WASG suchen nachzuholen, was Linke seit dem großen Schisma 1914 immer wieder wollten – die Einheit. 1945/46 gab es die Große Hoffnung, endlich aus der Geschichte lernend die Einheit der Arbeiterbewegung zu erreichen. Bald wurde es ein Drama und die Bitternis des Endens in einer stalinistischen Partei, von der Gregor Gysi unter einem Aufschrei vieler PDS-Mitglieder einmal behaupten sollte, dass sie keine linke Partei mehr war, sondern "trotz entgegenstehendem Willen vieler Mitglieder seit längerer Zeit reaktionär, weil sie Sozialismus verhindert und nicht ermöglicht hat".[2] Und doch war die SED mit ihren Mitgliedern und nicht wenigen Entscheidungen ihrer Führung auch eine Partei, die sozialistische Ideale zu verwirklichen suchte, nicht immer mit adäquaten, humanen Mitteln.

2005/06 steht wieder die Einheit, nun aber weit kleinerer Formationen, auf der Tagesordnung, was ihre Protagonisten nicht hindert, von einer "einmaligen Chance", "einer historischen Chance"[3] zu sprechen. Der Streit ist dafür umso heftiger und nicht beeinflusst von den Zwängen der jeweiligen Besatzungsmächte. Nur die Erwartungshaltungen der Bürger im Lande und deren Verwirrung ob der Querelen um sich unterschiedlich positionierende Landesverbände spielen eine Rolle. Heute wollen deutsche Linke unter dem Druck einer neoliberalen Großkoalition aller anderen Parteien, auch der sich vormals links verstehenden SPD und der Grünen, mit einer neuformierten Linken wieder Initiative gewinnen. Ost- und Westlinke wollen unter ein gemeinsames Dach:[4]

· Die Nachfolgepartei der SED, die sich über anderthalb Jahrzehnte müht, eine linkssozialistisch, demokratisch sozialistische Partei in der nun größeren und von links konkurrenzlosen Bundesrepublik zu werden;

· enttäuschte Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die sich teilweise in der WASG organisieren;

· einstige Angehörige mehr oder minder radikalerer linker Parteien und Gruppen wie Einzelpersönlichkeiten.

Bei der überraschend angesetzten Bundestagswahl im September 2005 gelang es noch relativ gut, auf Wahllisten der nunmehrigen Linkspartei.PDS gemeinsam zu kandidieren. Nur Monate später erweist sich trotz des Einzugs einer Linksfraktion ins Parlament die organisatorische Parteieinheit weitaus schwieriger. Nüchtern ist schon heute einzuschätzen, dass der Versuch einer breiteren linken Einheit als Chance des Zusammengehens einer Vielzahl links der Sozialdemokratie stehender Kräfte gescheitert ist. Was gelingen wird, ist eine Weststärkung für die Linkspartei.PDS, egal, ob nun als formal abgeschlossener Parteivereinigungsprozess oder als Ergebnis einer Parteispaltung der WASG. Dabei werden sich die vereinigenden Kräfte – ob sie es wollen oder nicht – verändern und über den Erfahrungsstand von PDS wie WASG hoffentlich hinausgehen.

Die Felder der Auseinandersetzung sind recht prosaisch, abgesehen vom unvermeidlichen Hickhack um Posten und Pöstchen, um Geld und Einfluss. Es ist der Streit um die Regierungsbeteiligung in Ländern und Bund, um die Radikalität der Forderungen bei der Abschaffung oder "Verbesserung" von Hartz IV oder das Ringen um Mindestlöhne und/oder bedingungsloses oder bedingtes sozialer Grundeinkommen. Die geschichtliche Herkunft und die bislang unterschiedlichen Erfahrungsfelder sozialen und politischen Engagements lassen zwischen Linkspartei.PDS und WASG inhaltliche Konflikte erwarten, die oft genug allerdings auch innerhalb der Linkspartei.PDS keineswegs ausgestanden sind und wieder aufbrechen dürften:

· Welche Rolle kann und muss der Staat spielen? Nach der Erfahrung des Staatsozialismus meinen viele Mitglieder der Linkspartei.PDS, dass der Ausweg nur basisdemokratisch und zivilgesellschaftlich sein könnte. Politiker und Abgeordnete der Linkspartei.PDS sind mittlerweile selbst im neuen Staat "angekommen" und nicht immer eng mit den außerparlamentarischen Kräfte verbunden; WASG-Mitglieder bringen sowohl sozialdemokratische Staatsfixiertheit wie basisdemokratische Erfahrungen ein.

· Welchen Platz haben die Verteidigung des Normalarbeitsverhältnisses und der Kampf um eine Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit contra der Anerkennung unterschiedlicher Lebens- und Arbeitsentwürfe? Gewerkschafter gehen hier anders heran als die bereits zu "Mobilität" und "Flexibilität" "erzogene" Generation der Projekt-Intellektuellen und Jobber. Ist überhaupt die Verteidigung von Arbeit und Vollbeschäftigung mit einer eher neokeynesianischen Wirtschaftspolitik noch zeitgemäß oder muss nicht das auf Lohnarbeit fixierte System generell überwunden werden?

· Welche Rolle sollen ausländische Arbeitnehmer und Immigranten in der Gesellschaft spielen, wo sind Ansprüche an Integration und Assimilation zu stellen und wo gibt es Konkurrenzsituationen?

· Wie kann eine Politik der Gleichstellung von Mann und Frau heute aussehen und welchen Platz nimmt der Feminismus in der Linken ein? West und Ost erlebten das unterschiedlich.

· Ist eine entmilitarisierte Außenpolitik anzustreben oder sind doch unter bestimmten Umständen nicht nur friedenssichernde, sondern auch friedenserzwingende Einsätze, unter welcher politischen Oberhoheit auch immer, notwendig? Wie ernst ist Pazifismus gemeint?

· Wie aktuell ist alternative Energie oder kann auch Atomenergie ökologisch sein?

· Und nicht zuletzt ist das Parteiverständnis theoretisch und vor allem praktisch umstritten. Wird eine straffe, zentralistisch organisierte Partei, in denen die Gliederungen der Führung (etwa im Streit um das Zusammengehen der WASG-Landesverbände mit ungeliebten PDS-Landesverbänden) sich unterordnen, gewünscht? Oder eine Partei, in der die einzelnen Verbände und Mitglieder sich frei entscheiden, auch gegen die Beschlusslage, und in allen Abstufungen zwischen Minderheitenschutz und Basisvorherrschaft.

Wohlgemerkt, was oft als Streit zwischen Linkspartei.PDS und WASG deklariert wird, ist vor allem auch ein Streit in den jeweiligen eigenen Reihen. Und unter Mitgliedern der Linkspartei.PDS ist die Position gar nicht so selten, dass die WASG etwa in der Frage der Regierungsbeteiligung Härte zeigen solle, weil dieses Thema in der PDS schon lange unter den Teppich gekehrt wurde.

[1] Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: MEW. Bd. 8. Berlin 1959, S. 115.
[2] Referat des Genossen Gregor Gysi. In: PDS – Auf dem Weg der Erneuerung. Klausurtagung des Parteivorstandes. Berlin, 12. und 13. Mai 1990. Berlin 1990, S. 21, 25.
[3] Woop, Gerry: Chancen und Risiken im neuen Linksprojekt (Berlin, 2. Juni 2005) – http://www.forum-ds.de/analyse.php?text=woop_chancen-risiken-linksprojekt [22.03.2006 19:56].
[4] Siehe ausführlicher zum Thema Bollinger, Stefan: Brüder, in eins nun die Hände? Linke Schwierigkeiten mit der Einheit. In: Maurer, Ulrich/Modrow, Hans (Hrsg.): Überholt wird links. Was kann, was will, was soll die Linkspartei. Berlin 2005, S. 86–103.

  • Preis: 4.00 €