Helle Panke trauert um Dr. Hans Modrow (27.1.1928 - 10.2.2023), Freund und Weggefährte

21.02.2023
Karlen Vesper
Hans Modrow und Kurt Neumann am 18.1.2019 in der Hellen Panke. Thema war der deutsche Umbruch 1989/90

Seine Popularität wuchs von Jahr zu Jahr: War Hans Modrow im Wendeherbst 1989 in der DDR ein Hoffnungsträger für jene Bürger und Bürgerinnen, die einen reformierten, attraktiveren, demokratischen Sozialismus mit menschlichem Antlitz erstrebten, wurde er nach der deutschen Vereinigung zum Fürsprecher und Anwalt der Ostdeutschen, die in die Arbeitslosigkeit gestürzt, abgewickelt oder gar abgeurteilt wurden.

Beleg dafür ist die allererste Veranstaltung der neu gegründeten „Hellen Panke“ im Frühjahr 1991. „Wir über 50 – Altes Eisen oder?“, so lautete das Thema. Menschen dieser Generation, die ihr Land gerade verloren hatten, sollte Mut gemacht werden. Wer war als Referent besser geeignet als Hans Modrow? Er setzte sich für die Anerkennung von Lebensentscheidungen und Lebensläufen in der DDR ein, stritt gegen deren Diffamierungen in bundesdeutschen Medien und dem offiziellen Geschichtsbild, engagierte sich gegen Ungerechtigkeit wie unterschiedliche Löhne, Gehälter und Renten in Ost und West. Für ihn war klar, nur Gleichbehandlung und Respekt können die deutsche Einheit vollenden.

Mit großer Sorge registrierte Hans Modrow, der als 17-Jähriger von den Nazis in den "Volkssturm" gepresst worden war und die Schrecken eines Krieges erlebt hatte, den erstarkten Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Er war dabei, wenn Neonazis Einhalt geboten werden musste und nahm an antifaschistischen Kundgebungen und Protesten gegen Geschichtsrevisionismus teil, darunter in der Stadt, in der er fast drei Jahrzehnte Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED war – in Dresden, wo rechte Kräfte die schmerzvollen Erinnerungen an die opferreichen Bombennächste im Februar 1945 für ihre nationalistische, volksverhetzende Propaganda zu missbrauchen versuchten.

Anfang Februar 1990 verkündete Hans Modrow als Vorsitzender des Ministerrates der DDR, von einem Staatsbesuch in Moskau zurückgekehrt, die dem mehrheitlichem Willen der DDR-Bevölkerung entsprechende Losung „Deutschland, einig Vaterland“. Sein Drei-Stufen-Plan, der eine zeitweilige Konföderation beider deutschen Staaten beinhaltete, hätte viele nachteilige Folgen des von Bundeskanzler Helmut Kohl und dessen Entourage durchgesetzten, überstürzten Anschlusses der DDR an die Bundesrepublik vorbeugen können. Seine "Regierung der nationalen Verantwortung" wurde jedoch mit den Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 abgewählt.

Bis 1994 gehörte Hans Modrow für die Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) dem Deutschen Bundestag an. 1999 wurde er ins Europaparlament gewählt, wo er sich für eine starke europäische Linke einsetzte. Wichtig war ihm auch immer der Schulterschluss der Linken international. Das Weltsozialforum wie auch das Projekt "Sozialismus im 21. Jahrhundert" waren ihm eine Herzenssache. Als Vorsitzender des Ältestenrates der PDS, später der Partei DIE LINKE, versuchte er sich in innerparteiliche Debatten und Kontroversen mit seinem reichen Erfahrungsschatz einzubringen. Seine Interventionen stießen nicht immer auf das Wohlfallen der Parteispitze. 

Hans Modrow war ein streitbarer Geist in eigener Sache, die letztlich zugleich die anderer vertrat. So erzwang er im Februar 2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht die Herausgabe der BND-Akten, die der westdeutsche Auslandsnachrichtendienst seit Beginn der 1950er Jahre über ihn angelegt hatte. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat ihn seit Mitte der 1960 Jahre observiert, wie ihm 2013 auf Anfrage der damalige Bundesinnenminister gestand. 

Besonders wichtig war Hans Modrow stets politische Bildung und Aufklärung. Er war häufiger Gast beim Verein „Helle Panke“, unterstützte ihn bei dessen Bemühungen um eine kritische und zugleich differenzierte Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR und den Ursachen für das Scheitern des Realsozialismus sowie für die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Denkens. Bodenständig und bescheiden, von freundlichem und frohem Naturell, fand Hans Modrow stets aufmerksame und wissbegierige Zuhörer. Sein Optimismus, seine Empathie und Leidenschaft auch im hohen Alter schienen ansteckend zu sein. Sein letzter Auftritt in unserem Verein fand vor ziemlich genau drei Jahren statt, wenige Tage vor dem ersten Corona-Lockdown. Hans Modrow berichtete damals in einem Zeitzeugengespräch im Seniorenklub über sein bewegtes Leben.

Hans Modrow verstarb wenige Tage nach seinem 95. Geburtstag, am 8. Februar 2023. Wir trauern um einen hochgeschätzten Freund, Weggefährten und Ratgeber.

Karlen Vesper, Vorstandsmitglied, im Namen von Vorstand, Kuratorium und Geschäftsstelle der Hellen Panke

 

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